Buchtipps: Zu Gast bei Flüchtlingen
Ein ganzes Jahr lang besuchte Buchautorin Séverine Vitali Flüchtlinge in der Schweiz. Sie schaute ihnen beim Kochen über die Schulter und liess sich deren Geschichte erzählen. Ein besonderes Rezeptbuch.
Inhalt
saldo 03/2016
17.02.2016
Thomas Lattmann
Nur die vier Zutaten Weissmehl, Hirsemehl, Frischhefe und Wasser braucht es für die Teigfladen Injeras. Sie sind ein typisches Gericht aus Eritrea. Hinzu kommt aber viel Geduld: Die Herstellung des Teigs benötigt fünf bis sechs Tage. Die Anleitung zur Zubereitung von Injeras ist eines von über 50 Rezepten in einem aussergewöhnlichen Kochbuch. Die Dolmetscherin und begeisterte Hobbyköchin Séverine Vitali und die Fotografin Ursula Markus waren bei ...
Nur die vier Zutaten Weissmehl, Hirsemehl, Frischhefe und Wasser braucht es für die Teigfladen Injeras. Sie sind ein typisches Gericht aus Eritrea. Hinzu kommt aber viel Geduld: Die Herstellung des Teigs benötigt fünf bis sechs Tage. Die Anleitung zur Zubereitung von Injeras ist eines von über 50 Rezepten in einem aussergewöhnlichen Kochbuch. Die Dolmetscherin und begeisterte Hobbyköchin Séverine Vitali und die Fotografin Ursula Markus waren bei Flüchtlingen in der Deutschschweiz zu Gast und liessen sich typische Gerichte aus deren Heimat zeigen. Ein ganzes Jahr waren sie von Haus zu Haus, von Asylunterkunft zu Asylunterkunft unterwegs.
Herausgekommen ist eine kunterbunte Rezeptsammlung. Sie reicht von der Gemüsesauce aus Sri Lanka über Schafskopf nach jemenitischer Art bis hin zu afghanischem Kardamompudding. Die Autorin gibt nicht nur die Rezepte wieder, sondern erzählt auch von den Schicksalen der Flüchtlinge. Da ist zum Beispiel die fünfköpfige Familie A. aus Syrien, deren Haus im Bürgerkrieg komplett zerstört wurde. Oder N. Er ist 25 Jahre alt und kommt aus dem Jemen. Seit fünf Jahren wartet er auf einen Entscheid über sein Asylgesuch. Sein Traum: Er möchte Papiere und in der Gastronomie arbeiten.
Viel Sympathie, aber nie rührselig erzählt
Das Buch gibt kulinarische Einblicke in alle Welt und nähert sich den Asylbewerbern einfühlsam an. Im Nachwort erfährt der Leser, was aus den Porträtierten geworden ist. Die Familie A. hat auf ihr Asylgesuch einen positiven Bescheid erhalten. Die Kinder gehen in die Schule, die Eltern lernen Deutsch. N. hat die Asylunterkunft gewechselt. Er wartet nach wie vor auf Papiere.
Die Autorin hat viel Sympathie für die Flüchtlinge, wird dabei aber nie rührselig. Kulinarisch hat sie dazugelernt. Kochen heisst auch experimentieren, und so ist sie nun in der Lage, schärfer zu essen – «fast ohne Schweissausbrüche».
Séverine Vitali, «Heimat im Kochtopf», Rotpunktverlag, 271 Seiten, ca. Fr. 39.–