Fast jeder Stadtteil von Winterthur hat sein eigenes Sommerfest. Doch die Zukunft dieser «Dorfeten» ist ungewiss. Grund: die Gebührenerhöhungen der Stadt. Laut Andi Müller, OK-Chef des Fests in Oberwinterthur, zahlen die Vereine für eine Festbeizbewilligung dieses Jahr im Durchschnitt rund 70 Prozent mehr als in den letzten Jahren. Für eine kleine Beiz mit Alkoholausschank musste ein Verein bisher der Stadt 125 Franken abliefern. Neu sind es 210 Franken.
Auch Markus Müller von der «Seemer Dorfet» ärgert sich über die teureren temporären Wirtepatente. Zu schaffen machen den Vereinen zudem die Gebühren für Wasseruhren und Stromverteilerkästen. Müller weiss: «Der Zustupf in die Vereinskasse fällt bei manchen Vereinen so tief aus, dass sie sich überlegen, weiterhin am Quartierfest mitzumachen.»
Auch die Winterthurer Wirte müssen seit Anfang März eine Gebührenerhöhung verdauen. Wer ein Strassencafé auf 50 Quadratmetern an bester Lage betreibt, überweist neu eine Jahresgebühr von 9614 Franken an die Stadt – 10 Prozent mehr als im Vorjahr. Zum Vergleich: In Basel kostet dieselbe Fläche an bester Lage weniger als die Hälfte: 4400 Franken.
Zur Kasse gebeten werden auch Autobesitzer. Seit 2015 kostet in Winterthur die Anwohnerparkkarte 710 Franken pro Jahr. Vorher waren es 470 Franken. In Basel stieg der Preis lediglich von 120 auf 140 Franken (siehe Tabelle im PDF).
Beat Holzer, Leiter des Winterthurer Finanzamts, begründet die Preispolitik der Stadt: Erhöht worden seien bisher zu tiefe Gebühren, und zudem wende man das Verursacherprinzip konsequenter an.
Auch andere Gemeinden und Kantone langen bei Gebühren und Abgaben zu. Im Kanton Bern stiegen die Einnahmen aus dem Konto «Gebühren für Amtshandlungen» in den vergangenen zehn Jahren um 26,2 Prozent, im Kanton Aargau gar um 44,1 Prozent. Die Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen: Bund, Kantone und Gemeinden kassierten 2014 für Amtshandlungen fast 2,8 Milliarden Franken Gebühren. Das sind 32,1 Prozent mehr als im Jahr 2000. Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum wuchs die Bevölkerung lediglich um 14,3 Prozent, die Teuerung stieg nur um 8,3 Prozent.
Gebühren belasten vor allem Wenigverdiener
Für Preisüberwacher Stefan Meierhans ist klar: Gebührenerhöhungen sind für die Behörden wesentlich einfacher durchzusetzen als Steuererhöhungen. Doch das ist unsozial: Gebühren belasten vor allem Wenigverdiener. Für Vermögende fallen sie nicht ins Gewicht. Theoretisch dürften Gebühren und Abgaben nur so hoch sein, dass sie die Kosten decken. Oder höchstens geringfügig darüber hinausgehen. Gebühren müssen ausserdem in einem vernünftigen Verhältnis zur bezogenen Leistung stehen. Diese beiden Prinzipien werden laut dem Preisüberwacher zunehmend ausgehöhlt.
Das belegt auch die Tatsache, dass für die gleichen Amtshandlungen je nach Kanton andere Gebühren verlangt werden. Beispiel Strassenverkehrsamt: Im Kanton Baselland kostet ein Führerausweis 75 Franken, im Kanton Aargau nur 35 Franken.
Meierhans stellte auch bei einem Vergleich der Gebühren für Baubewilligungsverfahren in den 30 grössten Schweizer Gemeinden enorme Differenzen fest. Das Bewilligungsverfahren für ein Standard-Einfamilienhaus in Zürich kostet 7895 Franken, in Neuenburg sind es nur gerade 640 Franken. Der Preisüberwacher beobachtet ferner, dass Behörden immer wieder «neue Gebühren erfinden», denn das Gesetz setzt kaum Schranken. Neu ist etwa die sogenannte Tourismusabgabe, die Zweitwohnungsbesitzer als Folge der Zweitwohnungsinitiative in vielen Ferienorten zu bezahlen haben.
Höhere Abfallgebühren für Sanierung von Schiessanlagen
Der Kanton Tessin verlangt seit Oktober von Bau- und Handwerkerfirmen eine Registrierungsgebühr von 600 Franken – angeblich um die Qualität und die Sicherheit zu verbessern. Und der Kanton Bern erhöht die Abfallgebühren, damit genug Geld für die Sanierung der Schiessanlagen vorhanden ist. Die rund 450 Anlagen im Kanton müssen von den Altlasten Blei und Antimon befreit werden. Die Verursacher – die Schützenvereine – haben kein Geld dafür. Nun müssen alle Haushalte zahlen. Fazit des Preisüberwachers: «Die Behörden haben bei der Erhebung von Gebühren einen grossen Ermessensspielraum. Und die Gerichtspraxis ist zu fiskalfreundlich.»
Widerstand lohnt sich
In Basel wollte die Regierung kürzlich eine Gebührenpflicht für Warteschlangen vor Take- away-Ständen einführen. Der Gewerbeverband und die Parteien widersetzten sich erfolgreich.
In Bern kämpfte ein Ehepaar bis vor Bundesgericht gegen eine «Beleuchtungsabgabe». Sie wurde fällig, sobald eine Strassenlampe den Hauseingang beleuchtete. 2005 entschieden die Richter in Lausanne, dass diese Gebühr gegen das Gebot der Rechtsgleichheit verstosse.
Letztes Jahr mussten Stromkunden in Winterthur pro Kilowattstunde 0,68 Rappen an die öffentliche Beleuchtung abliefern. Rund ein Dutzend Kunden protestierten. Letzten November kippte das Stadtparlament die Abgabe.