Die 72-jährige Erika Speich aus dem Kanton Zürich hatte bei der Raiffeisenbank an der Limmat 40 000 Franken auf dem Sparkonto. Sie lebt von der AHV. Anfang 2018 schlug ihr die Bank vor, mit 20 000 Franken aus ihrem Konto Obligationen des französischen Unternehmens Rallye zu kaufen. Die Raiffeisen-Mitarbeiterin habe von einer «besonders günstigen Gelegenheit» gesprochen, sagt Speich. Es lockte ein Zins von 3,25 Prozent pro Jahr. Rallye besitzt unter anderem die französischen Supermarktketten Casino, Géant und Monoprix.
Speich befolgte den Tipp. Sie hatte mit der Bank weder ein Beratungsmandat noch einen Vermögensverwaltungsvertrag abgeschlossen und verwaltete ihr Depot selbst. Der Bank sagte sie, sie wolle keine Aktien, das sei ihr zu riskant.
Rückzahlung der Obligation erst im Jahr 2032
Der Anlagetipp ihrer Bank war kein Treffer: Im Juni 2018 brach der Kurs der Rallye-Obligation um einen Drittel ein. Seit Mai 2019 befindet sich die Firma in Nachlassstundung. Im Jahr 2020 zahlte es den geschuldeten Zins auf die Obligation von 3,25 Prozent nicht mehr. Die Obligation müsste am 8. Februar 2024 zurückbezahlt werden.
Doch das Unternehmen wird den Termin nicht einhalten. Im Rahmen der Nachlassstundung wurde der Zeitpunkt der Rückzahlung auf den 28. Februar 2032 verschoben.
Anlegerin Speich wird Geduld haben müssen. Denn ein Verkauf der Obligationen zum heutigen Zeitpunkt würde ihr gerade noch knapp 2700 Franken einbringen. Das wäre ein Verlust von 17 300 Franken – 87 Prozent ihrer Anlage. Sie hofft darauf, dass wenigstens der nächste Jahreszins wieder ausbezahlt wird.
Auf Anfrage von saldo erklärt Raiffeisen, die damalige Kundenberaterin sei nicht mehr für die Raiffeisenbank an der Limmat tätig. Bis Redaktionsschluss sei «eine vollständige Abklärung des Sachverhalts nicht möglich». Der Kundin hatte die Bank auf ihre Reklamation hin geantwortet, sie habe ihr nie einen bestimmten Titel zum Kauf empfohlen, sondern nur «über zu erwerbende Titel informiert». Speich habe einen Verzicht auf Beratung unterzeichnet. Im übrigen stehe noch nicht fest, dass sie bei Fälligkeit der Obligation tatsächlich einen Verlust erleide.
Vermögensverwaltung: Diese drei Möglichkeiten haben Anleger
1. Selbstverwaltung: Der Kunde hat ein Depot und fällt Kauf- und Verkaufsentscheide selbst. Das ist die günstigste Form des Wertschriftenbesitzes. Sie wird «Execution only» genannt. Die Bank führt die Aufträge des Kunden aus, haftet aber nicht für allfällige Kursverluste. Der Kunde zahlt für jeden Kauf und Verkauf von Wertschriften eine Courtage. Diese beträgt pro Auftrag rund 100 Franken. Für das Depot verlangen die Banken eine jährliche Gebühr – im Durchschnitt 0,2 Prozent der angelegten Summe.
2. Beratungsauftrag: Der Kunde schliesst mit der Bank einen Beratungsvertrag. Die Bank muss abklären, wie viel Risiko der Kunde eingehen kann und will. Empfiehlt die Bank später Anlagen, die das Risikoprofil missachten, verletzt sie ihre Sorgfaltspflicht und kann für einen allfälligen Schaden haftbar gemacht werden. Egal, was der Kundenberater rät: Der Kunde fällt immer den Entscheid zum Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers. Die Kosten für ein Beratungsmandat betragen rund 1 Prozent des angelegten Vermögens.
3. Vermögensverwaltungsauftrag: Wer weder Kauf- noch Verkaufsentscheide selbständig fällen möchte, erteilt seiner Bank den Auftrag zur Vermögensverwaltung. Im Vertrag wird festgehalten, welche Leitplanken für die Bank gelten – etwa wie hoch der Aktienanteil maximal sein darf. Verliert der Kunde Geld, weil sich die Bank nicht an die Weisungen oder an das Risikoprofil hält, haftet sie für Schäden. Die Gesamtkosten pro Jahr liegen durchschnittlich bei 2,7 Prozent der angelegten Summe («K-Geld» 4/2021). Vermögensverwaltungsaufträge sind teuer. Ein solches Mandat kann sich für vermögende Leute eignen, die sich nicht mit Finanzanlagen auseinandersetzen möchten.