Vor vier Jahren hatte Margrit S. aus Wigoltingen TG plötzlich Mühe beim Sehen. «Ich dachte, ich brauche stärkere Brillengläser, und ging zur Augenärztin.» Diese stellte die Diagnose «Altersblindheit». Damit ist die trockene Makula-Degeneration gemeint. Dabei entstehen Ablagerungen auf der Netzhaut. Betroffene sehen immer schlechter. Die Krankheit ist nicht heilbar. Der Verlauf lässt sich höchstens etwas bremsen. Betroffen sind vor allem Menschen, die älter als 65 sind.
Die Thurgauerin hörte von einer Therapie aus St. Gallen, der «Behandlung nach Prof. Dr. Bangerter». Diese Therapie soll die Krankheit verlangsamen oder sogar stoppen. Der Arzt spritzt die Medikamente unmittelbar neben das Auge. Welche das sind, hält die Praxis geheim. Ausserdem erhalten die Patienten «Ozon-Eigenblut-Infusionen» und inhalieren ein Sauerstoff-Kohlendioxid-Gemisch. Das soll die Wirkung der Medikamente verstärken. Die Behandlung kostet pro Jahr für beide Augen rund 1000 Franken. Die Krankenkasse muss die Kosten nicht übernehmen.
Auf der Website der Praxis heisst es, nicht jeder Arzt könne diese Methode anwenden: «Warnen müssen wir vor einigen Augenärzten, die mit der Methode Bangerter werben, ohne sie von Prof. Dr. Bangerter selbst gelernt zu haben.» Der St. Galler Augenarzt ist inzwischen verstorben.
Die Spritze kann zu Komplikationen führen
Martin Zinkernagel, Leitender Arzt an der Universitätsklinik für Augenheilkunde am Berner Inselspital, rät von der Methode Bangerter ab. Es gebe keine wissenschaftliche Studie, die den Nutzen bewiesen habe. Ausserdem ist die Methode nicht harmlos. Zinkernagel: «Eine Spritze neben das Auge kann zu Komplikationen führen.»
Auch Daniel Barthelmes, Leitender Arzt an der Augenklinik des Zürcher Universitätsspitals, ist skeptisch: «Es gibt bisher keine Therapie gegen die trockene Makula-Degeneration, die sich in klinischen Studien als wirksam erwiesen hat.» Das lasse Patienten oft verzweifeln. «Sie greifen nach jedem Strohhalm.»
Ärzte verschreiben häufig einen Cocktail aus den Vitaminen C und E sowie Zink, Kupfer und den natürlichen Farbstoffen Lutein und Zeaxanthin. Diese kommen auch in grünem Gemüse vor. Die Vitaminmischungen heissen zum Beispiel Vitalux oder Ocuvite Lutein. Doch auch hier bringen die Fachleute Vorbehalte an. Studien würden zeigen, dass Vitamine höchstens im Frühstadium bewirken könnten, dass die Krankheit etwas langsamer fortschreitet. Augenarzt Zinkernagel: «Der Effekt ist relativ klein.» Auch der deutsche Arzt und Apotheker Wolfgang Becker-Brüser sagt: «Den Erfolg kann man allenfalls als bescheiden ansehen.» Wissenschafter der unabhängigen Forschergruppe Cochrane schrieben im vergangenen Jahr, dass der Cocktail nicht vor Altersblindheit schützt. Er könne aber bei Kranken den Verlauf etwas verzögern. Die Forscher berücksichtigten Studien mit insgesamt 80 000 Teilnehmern.
Medikament wirkte nicht besser als ein Placebo
Auch Medikamente waren bisher erfolglos. Ende 2017 brach Roche eine Studie mit dem Wirkstoff Lampalizumab ab. Der Versuch an 900 Patienten hatte gezeigt: Das Medikament wirkte nicht besser als ein Placebo.
Die Augentagesklinik Prof. Dr. med. Bangerter schreibt saldo, seit Jahren sei es zu keinem Komplikationsfall gekommen. Die Patienten seien «bestens in der Lage zu beurteilen», ob ihnen die Behandlung helfe. «Das ist für uns der beste Erfolgsnachweis.»
Ocuvite-Lutein-Hersteller Bausch & Lomb teilt mit, das Mittel sei kein Medikament, sondern ein Nahrungsergänzungsmittel. Einzelne Inhaltsstoffe trügen dazu bei, dass man weiterhin gut sehe.