Wer regelmässig Zeitungen liest oder sich via Radio und Fernsehen informiert, muss beim Gedanken an seine dereinstige Pensionskassenrente ins Bangen kommen. Eine kleine Auswahl von Schlagzeilen der letzten Monate: «Altersguthaben wachsen kaum», «Die Schweiz sieht ihrer Rentenkrise tatenlos zu», «Pensionskassenverband warnt vor zu hohem Umwandlungssatz», «Zeitbombe Altersvorsorge», «Akademiker sollen bis 70 arbeiten» oder «Pensionskassen zehren von der Substanz». Auffällig häufig behaupten Pensionskassenvertreter, heute würden in der 2. Säule die jungen Erwerbstätigen die Rentner unterstützen.
Das Vermögen der Pensionskassen wächst jedes Jahr deutlich
Wer sich mit den wenigen Zahlen beschäftigt, die Versicherungen und Pensionskassen zum Geschäft mit dem obligatorischen Alterssparen veröffentlichen, kommt zu einem andern Ergebnis: Von einem Substanzverlust zu sprechen, ist blanker Unsinn. Jedes Jahr wächst das gesamte Schweizer Pensionskassenvermögen deutlich. Zurzeit liegen gut 800 Milliarden Franken in der Schatulle. Im Jahr 2010 sind davon knapp 30 Milliarden Franken – also ganze 3,7 Prozent – für Renten verwendet worden. Der Zuwachs an ordentlichen Beiträgen der Versicherten und Arbeitgeber belief sich im gleichen Jahr auf 60 Milliarden Franken. Das Kapital wächst also selbst ohne Erträge.
Die Kapitalerträge sind aber sehr beachtlich – trotz der Tiefzinspolitik der Nationalbanken und zweier grosser Finanzkrisen in zehn Jahren. Beispiel: Die Sammelstiftung des Versicherers Swiss Life hat letztes Jahr eine Netto-Performance auf den Altersguthaben der Kunden von 8 Prozent erreicht, der Nettoertrag ohne Kursgewinne betrug 3,52 Prozent. Vor zwei Jahren hatte die Swiss Life nach der verlorenen Abstimmung über eine Rentensenkung gedroht, aus dem Pensionskassengeschäft auszusteigen. Davon ist heute nicht mehr die Rede. Letztes Jahr schrieb der grösste Lebensversicherer der Schweiz allein im Geschäft mit der 2. Säule einen Gewinn von 214 Millionen Franken – nachdem bereits nicht weniger als 225 Millionen in einen Reservetopf zurückgestellt wurden (siehe Tabelle).
Die Swiss Life ist nicht die einzige Versicherung im Pensionskassengeschäft. Insgesamt verwaltet die Assekuranz die Pensionskassenguthaben von über der Hälfte der Schweizer Angestellten. Auch Allianz Suisse, Axa Winterthur, Bâloise, Generali, Helvetia, Mobiliar, Pax und Zürich leben sehr gut von den obligatorischen Lohnabzügen der Versicherten für die 2. Säule. Insgesamt haben die acht Gesellschaften im vergangenen Jahr laut ihren Geschäftsberichten im Pensionskassenbereich Überschüsse in der Höhe von 1,56 Milliarden Franken erwirtschaftet. Davon wurden total 935 Millionen den Überschussfonds zugewiesen, 628 Millionen fielen bei den Konzernen als Gewinn an.
Gute Rendite mit Liegenschaften und Obligationen
Die Gewinne haben vor allem einen Grund: Die Altersguthaben der Versicherten mussten laut Beschluss des Bundesrates letztes Jahr nur mit 2 Prozent verzinst werden, im laufenden Jahr sogar nur noch mit 1,5 Prozent. Die Anlagen rentierten nach Abzug der Vermögensverwaltungskosten und ohne Berücksichtigung der Kursgewinne zwischen 2,25 und 3,52 Prozent. Für die gute Rendite waren hauptsächlich Obligationen und Liegenschaften verantwortlich. Die Performance nach Abzug der Vermögensverwaltungskosten betrug letztes Jahr bei den acht Versicherungen im Schnitt 5,7 Prozent. Für die Pensionskassen dürften die Geschäfte ähnlich gut laufen wie für die Versicherer. Denn sie erhalten nicht weniger Prämien von den Versicherten.
Dass das Geschäft mit der 2. Säule floriert, zeigen weitere Belege: Versicherungen und Pensionskassen zahlen zum Teil hohe Provisionen, wenn ein Vermittler ihnen einen neuen Betrieb mit Versicherten bringt. Bei Vertragsabschluss erhalten diese Broker einen einmaligen Betrag (Finding Fee), dann jedes Jahr einen Teil der einbezahlten Prämien als sogenannte Bestandespflege-Kommissionen. Immer öfter suchen Firmen nämlich nicht mehr selbst eine Kasse, sondern schalten einen Vermittler dazwischen.
Dieser holt bei verschiedenen Sammelstiftungen Offerten ein. Einer der grösseren Vertreter im Beratungs-und Vermittlungsgeschäft ist das VZ Vermögenszentrum. Laut dem VZ-Versicherungsspezialisten Stefan Thurnherr können Firmen auf diese Weise «substanzielle Einsparungen» erzielen. Er berichtet von einem Kunden, bei welchem die Risiko- und Verwaltungskosten in der 2. Säule um 150 000 Franken – oder 25 Prozent – gesunken sind. Das bedeutet: Tiefere Prämien für Arbeitgeber und Angestellte.
Ob die Vermittler aber immer die beste Lösung für die Versicherten aushandeln, ist zweifelhaft. Denn sie werden von den Versicherern entschädigt und haben ein Eigeninteresse daran, jenen Vertrag zu empfehlen, der ihnen die höchsten Provisionen einbringt.
Ein Insider spricht von Fällen, bei denen Provisionen im «höheren sechsstelligen Bereich», also mehreren Hunderttausend Franken, geflossen sind. Dass beim Transfer von Pensionskassengeldern mitunter fette Abschlussprovisionen bezahlt werden, bestätigt Hans-Ulrich Stauffer von der Pensionskasse Abendrot in Basel – einer Sammelstiftung für kleine und mittlere Unternehmen. «Ein Vermittler kam auf uns zu und sagte, er habe eine Firma, die in unser Portefeuille passen würde.» Um mit dem Vermittler ins Geschäft zu kommen, hätte Abendrot aber zuerst einmal einen teuren Provisionsvertrag unterzeichnen müssen. Stauffer lehnte dieses Vorgehen ab, weil das die allgemeinen Verwaltungskosten der Sammelstiftung in die Höhe getrieben hätte.
Laut Ueli Mettler, Pensionskassenspezialist bei der St. Galler Finanzberatungsfirma C-Alm, wissen die meisten Arbeitgeber gar nicht, wie hoch die Provisionen sind, welche die Sammelstiftungen den Vermittlern bezahlen. Es fehlt an Transparenz. Mettler schätzt aufgrund der Betriebsrechnung der Lebensversicherer des letzten Jahres die Provisionssumme auf rund 320 Millionen Franken. Nicht berücksichtigt in dieser Rechnung sind die Entschädigungen, die von autonomen Pensionskassen für die Vermittlung von Betrieben ausgerichtet werden. Der Gesamtbetrag ist also noch deutlich höher. Das ist Geld, das den Beiträgen der Versicherten abgezwackt wird und das Sparkapital reduziert.
Kosten für Vermögensverwaltung undurchsichtig
Im Rahmen des Abstimmungskampfs zum Umwandlungssatz wurde kritisiert, dass die Pensionskassen die Kosten, die sie für die Vermögensverwaltung ausgeben, nicht klar ausweisen. Im Auftrag des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) hat die Beratungsfirma C-Alm deshalb in einer Studie die tatsächlichen Vermögensverwaltungskosten so gut wie möglich ermittelt.
Laut den offiziellen Betriebsrechnungen der Pensionskassen fielen im 2009 Vermögensverwaltungskosten von rund 1,2 Milliarden Franken an. Die Studie der C-Alm versucht darüber hinaus aber auch die versteckten Gebühren und Transaktionskosten zu erfassen, die innerhalb von Fonds anfallen. Unter Berücksichtigung dieser versteckten Kosten kommt die Studie auf durchschnittliche Vermögensverwaltungskosten von 0,56 Prozent des Anlagevermögens.
50 000 Franken für Verwaltung zahlt jeder bis zur Pension
saldo hat die Kosten für Verwaltung und Vermögensverwaltung aller Vorsorgeeinrichtungen aufgrund der Betriebsrechnungen von 2010 berechnet, da für das letzte Jahr noch nicht alle Zahlen verfügbar sind. Ende 2010 erreichte das Anlagevermögen von Pensionskassen und Sammelstiftungen der Lebensversicherer den Wert von 763 Milliarden Franken. Für die Vermögensverwaltung versickerten 4273 Millionen Franken. Dazu kommen die von den Kassen ausgewiesenen Kosten für Verwaltung in der Höhe von 1702 Millionen. Total zahlten die Versicherten für das Verwalten ihrer Gelder der 2. Säule 5975 Millionen Franken – in einem einzigen Jahr. Umgerechnet auf die erwerbstätigen Versicherten heisst das: Jeder zahlt 1114 Franken pro Jahr für die Verwaltung seines Altersgeldes. Über 40 Beitragsjahre bis zur Pensionierung gerechnet kommt so der stolze Betrag von knapp 45 000 Franken zusammen – Zinsen nicht eingerechnet.
Bund erkennt mögliche Einsparungen von 1,8 Milliarden Franken
Alle Pensionskassenexperten sind sich einig, dass da Sparpotenzial besteht. Aber alle von saldo Angefragten scheuen sich, Zahlen zu nennen. Der Bericht des Bundesrates über die Zukunft der 2. Säule beziffert das Einsparungspotenzial auf 1,8 Milliarden Franken pro Jahr. Das wären gut 30 Prozent der gesamten jährlichen Verwaltungs- und Vermögenskosten. Der Bundesrat anerkennt damit, dass im Pensionskassengeschäft zu viel Gewinn an die Finanzbranche abfliesst.
Trotzdem plant der Bundesrat, die Renten der Versicherten zu senken und die Lohnabzüge zu erhöhen (siehe Kasten). Die Kommission, welche den Bundesrat berät, wird deshalb scharf kritisiert. Sie vertrete nicht die Interessen der Versicherten, sondern jene der Versicherungen, sagen Gewerkschaften oder auch Pensionskassenvertreter wie Herbert Brändli (siehe Interview rechts). Der Sprecher des Bundesamts für Sozialversicherungen, Rolf Camenzind, hat für die Kritik an der Zusammensetzung der Kommission kein Verständnis.
Reform der altersvorsorge: Bundesrat lässt Rentner im Regen stehen
Das Departement des Innern von Bundesrat Alain Berset will bis Ende Jahr Vorschläge für eine Reform der Altersvorsorge vorstellen. Anfang Jahr veröffentlichte der Bundesrat den Entwurf eines Berichts über die Zukunft der 2. Säule. Er zeigt, in welche Richtung es bei den Pensionskassen gehen soll. Die Vorschläge gehen alle zulasten der Versicherten:
- Die Renten seien zu hoch. Es sei deshalb «notwendig», den Umwandlungssatz zu senken. Um dieses unpopuläre Anliegen durchzubringen, soll dem Volk künftig die Mitsprache beim Umwandlungssatz durch eine Gesetzesänderung entzogen werden.
- Ohne diese Kürzung würden den Pensionskassen jährlich rund 600 Millionen Franken fehlen, weil die Renditen sinken und die Lebenserwartung steigen würde. Dieses angebliche Loch soll mit höheren Lohnabzügen gestopft werden.
- Zudem müsse «möglicherweise auch eine Anhebung des Pensionsalters in Betracht gezogen werden».
Kein Thema ist im 170-seitigen Bericht die Senkung der hohen Verwaltungs- und Vermögensverwaltungskosten der Pensionskassen oder eine Reduktion der Gewinnausschüttungen der Versicherungskonzerne.
Wie kommt der Bundesrat zu solchen Vorschlägen? Ganz einfach: Er ernennt dafür eine Kommission. Diese 19-köpfige BVG-Kommission ist von der Versicherungs-, Banken- und Pensionskassenberaterlobby dominiert. Darin sind die Versicherten und Rentner mit lediglich 4 Personen vertreten.
Interview: «Der Mindestzinssatz ist deutlich zu tief»
Herbert Brändli hat selbst eine Pensionskasse gegründet und verwaltet. Zur Finanzsituation der 2. Säule sagt er: «Die Pensionskassen haben 20 Milliarden mehr in der Schatulle, als sie brauchen.»
saldo: Vor zwei Jahren lehnte das Stimmvolk eine Senkung der Pensionskassenrenten ab. Seither beklagen die Versicherungen die angeblich zu hohen Verpflichtungen, bleiben aber im Geschäft mit der 2. Säule sehr aktiv. Erstaunt Sie das?
Herbert Brändli: Nein. Das Vorsorgegeschäft ist für die Versicherer sehr interessant. Dies belegen unter anderem die Prämien, die sie an Makler zahlen, wenn sie ihnen einen neuen Kunden für ihre Pensionskasse bringen. Diese Zahlungen gehen auf Kosten der Versicherten.
Die Altersvorsorge ist also ein lukratives Geschäft?
Ja. Im Jahr 2010 verschwanden satte 19,8 Prozent der Prämien von 9,5 Milliarden Franken als Aktionärsgewinne oder als Kosten für Administration und Vermögensverwaltung in den Büchern der Versicherungen. Dies zeigt eine Studie der unabhängigen Firma Risiko-Rating.
In den ersten acht Monaten dieses Jahres erwirtschafteten die Pensionskassen selbst mit konservativer Anlagestrategie eine Rendite von 7 Prozent. Das zeigen die entsprechenden Indizes der Privatbank Pictet. Da müsste doch für die Versicherten ein höherer Zins als nur gerade 1,5 Prozent abfallen?
Die Pensionskassen könnten ihre Vermögensverwaltungskosten sogar noch um mehrere Milliarden Franken senken – etwa mit einem Verzicht auf Provisionen und Investitionen in teure Anlagekonstrukte wie Hedgefonds. Ohne diese Kosten wäre jährlich eine um bis zu 2 Prozent höhere Rendite möglich. Und die Renten würden aufgrund des Zinseszinseffekts massiv steigen.
Warum schreibt der Bundesrat trotzdem nur gerade eine Mindestverzinsung von 1,5 Prozent vor?
Ein Teil der Renditen wird gebraucht, um Vorjahresverluste auszugleichen. Der Mindestzinssatz ist aber deutlich zu tief. Er hätte seit 1985 unverändert bei 4 Prozent belassen werden können. Dabei hätte man zwar Schwankungen in Kauf nehmen müssen, aber es wäre möglich gewesen. Der zu tiefe Mindestzins zeigt, dass die von der Banken-, Berater- und Versicherungslobby dominierte Pensionskassen-Kommission des Bundesrates nur am Wohl der Versicherer interessiert ist – und nicht am Wohl
der Versicherten.
Gemäss den Pensionskassen fehlen heute in der 2. Säule 600 Millionen Franken, weil die Renditen sinken und die Menschen älter werden. Stimmt das?
Die Deckungsgrade der privatrechtlichen Pensionskassen liegen zurzeit im Durchschnitt bei 105 Prozent. Das heisst: Diese Vorsorgewerke haben 20 Milliarden Franken mehr in der Schatulle, als sie brauchen, um die versprochenen Leistungen zu finanzieren. Das ist mehr als genug, um zunehmende Rentenlaufzeiten abzudecken.