Ursula Meili (Name geändert) liess beim Augenarzt ihren Augendruck messen. Fachleute empfehlen, diesen Test spätestens ab dem 50. Lebensjahr regelmässig zu machen. Der Grund: Ein hoher Augendruck kann zu grünem Star (Glaukom) führen. Dabei sterben immer mehr Fasern des Sehnervs ab, bis man erblindet. Beim grauen Star hingegen trübt sich die Augenlinse, sodass Betroffene nicht mehr klar sehen.
Der Arzt mass bei Ursula Meili Augendruckwerte von 21 Millimeter Quecksilbersäule (mmHg), einer Masseinheit mit welcher Ärzte auch den Blutdruck messen. Der Wert von Ursula Meili lag am oberen Ende des Normalbereichs. Deshalb musste sie ein paar Wochen später erneut zur Kontrolle. Diesmal mass der Arzt Werte von 22 und 25 mmHg. «Er meinte, dies sei zu hoch. Ich müsse jetzt Augentropfen nehmen – und zwar für den Rest meines Lebens», berichtet die Patientin. Sie fühlte sich überrumpelt. In den folgenden Monaten quälte sie sich mit verschiedenen Augentropfen, die den Druck senken sollten. Vom ersten Mittel bekam sie starkes Kopfweh, beim zweiten entzündeten sich ihre Augen. «Ich vertrug die Tropfen einfach nicht. Doch der Arzt meinte, ich müsse sie weiter nehmen.»
Schliesslich suchte Ursula Meili eine neue Augenärztin auf – und erhielt das überraschende Ergebnis: «Der Augendruck ist völlig in Ordnung.» Die Ärztin habe sie untersucht und mehrmals nachgemessen, auch zu verschiedenen Tageszeiten. Ihr Fazit: «Eine Therapie gegen grünen Star ist unnötig.»
Augendruck am Morgen meist höher als am Abend
Bei Augendruckmessungen kommt es immer wieder zu solchen unterschiedlichen Diagnosen, sagen Fachleute. Augenarzt Dietmar Thumm aus Luzern: «Die bei Routineuntersuchen erhobenen Augendruckwerte sind ungenau.» Sie können sehr unterschiedlich ausfallen. Dafür gebe es mehrere Ursachen.
Der Wert verändert sich je nach Tagesform und Verfassung des Patienten, zum Beispiel wenn er sich verkrampft, nervös ist oder blinzelt. Auch die Tageszeit spielt eine Rolle: Am Morgen ist der Druck meist höher als abends.
Entscheidend ist auch die Messmethode: Als eher ungenau gelten Geräte, die den Augendruck anhand eines Luftstroms messen. Solche Geräte dürfen auch Optiker verwenden. Doch auch die genaueren Messgeräte nach der sogenannten Goldmann-Methode, welche die Augenärzte meist anwenden, ergeben nicht immer korrekte Messwerte. Denn die Methode geht von einer durchschnittlichen Dicke der Hornhaut aus. Diese unterscheide sich bei den Patienten jedoch stärker als bisher angenommen, sagt Augenarzt Dietmar Thumm: «Vermutlich haben deswegen bereits etliche Patienten eine falsche Diagnose bekommen.»
Augendruck beim Augenarzt, nicht beim Optiker messen lassen
Hinzu kommt die Wartung der Messgeräte: Die Ärzte sollten sie jährlich vom Hersteller oder einer Kalibrierungsfirma überprüfen und kalibrieren lassen. «Das machen nicht alle Augenärzte ganz so regelmässig», sagt Dietmar Thumm. Allerdings zeige die Erfahrung, dass deswegen höchst selten grobe Messfehler entstehen. Die Abweichungen seien sehr gering.
Milko Iliev, Glaukom-Spezialist am Berner Inselspital und in Zürich, sagt: «Der Augendruckwert allein sagt nicht viel aus.» Gewisse Menschen haben einen hohen Augendruck und bekommen trotzdem keinen grünen Star. Andere haben normale Werte, jedoch bereits Schäden am Sehnerv. Milko Iliev: «Die Frage sollte nicht lauten: Wie hoch ist der Druck? Sondern: Hat der Patient ein Glaukom?» Dies allein sei entscheidend für die Therapie. Um das Glaukom zu erkennen, brauche es weitere Untersuchungen. So muss der Augenarzt unter anderem den Sehnerv prüfen, die vordere Kammer des Auges untersuchen und das Gesichtsfeld messen.
Fachleute raten deshalb davon ab, den Augendruck beim Optiker zu messen: «Das kann höchstens als unverbindliche Information dienen. Es ersetzt die Kontrolle beim Augenarzt nicht», sagt Jens Funk, Professor an der Zürcher Uni-Augenklinik. Eine Zweitmeinung bei einem anderen Augenarzt hält Jens Funk für sinnvoll: «Wer unsicher ist, sollte das auf jeden Fall machen.»
Patienten mit einem Glaukom müssen meist für den Rest ihres Lebens Augentropfen verwenden. Heilen kann man die Krankheit damit allerdings nicht. «Ist der Sehnerv kaputt, bleibt er das auch», sagt Augenarzt Dietmar Thumm. Deshalb sei es wichtig, den grünen Star zu entdecken, bevor der Sehnerv zu stark geschädigt ist.
Vorsorge: Grüner Star: Das müssen Sie wissen
- Spätestens ab 50 sollten Sie alle drei Jahre beim Augenarzt in die Kontrolle. Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko für grünen Star. In der Schweiz haben 8 Prozent der 60-Jährigen ein Glaukom, bei den 40-Jährigen sind es 5 Prozent.
- Wer ein erhöhtes Risiko hat, sollte die Augen bereits ab 40 kontrollieren lassen. Zum Beispiel bei grünem Star in der Familie, starker Kurz- oder Weitsichtigkeit, Diabetes, langjährigen Kortison-Therapien, früheren Augenverletzungen und -operationen.
- Infos im Internet: www.glaukompatienten.ch.
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