Landwirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann lobte die Bauern kürzlich in den höchsten Tönen: Sie würden «hohe Qualität produzieren – und das ökologisch nachhaltig». Und sie hätten in «Umwelt und Tierschutz bereits sehr viel erreicht». Gleich neun Mal benutzte er in seiner Rede am Symposium «Landwirtschaft in den Alpenländern» die Begriffe «ökologisch», «nachhaltig» und «Umwelt».
Die Bauern dürfte das freuen. Sie betonen gerne ihr Engagement für die Umwelt, um die gegenüber dem Ausland bis zu 35 Prozent höheren Preise ihrer Erzeugnisse zu rechtfertigen.
Doch trotz der schönen Worte von Schneider-Ammann bleibt die Tatsache: Konventionell arbeitende Bauern belasten die Umwelt massiv – durch Überdüngung, Anreicherung der Böden mit Schwermetallen oder durch hohe Stickstoff- und Feinstaubemissionen (saldo 7/11).
Dem Wunschbild widerspricht auch ihr Umgang mit Pflanzenschutzmitteln. Gleich drei aktuelle Meldungen weisen darauf hin, dass viele Landwirte den Gifteinsatz gegen Schädlinge übertreiben:
Eine im Mai publizierte Studie der Umweltämter der Kantone Aargau und Luzern stellte fest, dass bei allen 276 Proben an 46 Messstellen in Flüssen und Bächen Pestizide nachgewiesen wurden. In über 90 Prozent der Proben fand sich das Pestizid Atrazin. Ein Drittel der Proben überschritt die Grenzwerte. Laut Studie ist «die Grundbelastung mit Pestiziden hoch und gibt zur Besorgnis Anlass».
Der Befund sei auf andere Kantone übertragbar, betont Andreas Bosshard von Vision Landwirtschaft, einer Organisation unabhängiger Agrarfachleute. Ein Beispiel aus dem Kanton Zürich: Gewässerkontrolleure stellten im Furtbach von 2007 bis 2009 nebst häufigen Grenzüberschreitungen «eine konstant hohe Belastung durch Pestizide und Abbauprodukte» fest.
Das Bundesamt für Landwirtschaft beauftragte letztes Jahr einige Kantone, den Einsatz von illegalen Insektiziden auf Kartoffel- und Getreideäckern zu überprüfen. Resultat: 15 der 97 kontrollierten Landwirte hatten Insektizide versprüht, die nicht zugelassen waren oder für die sie keine Sonderbewilligung hatten. Bosshard rechnet mit zusätzlichen Missbräuchen: «Hätten die Tester nach weiteren illegalen Pestiziden gesucht, hätten sie vermutlich weitere gefunden.» Das Bundesamt wiederholte in diesem Jahr die Stichproben. Ergebnisse liegen noch nicht vor.
Thurgauer Imker verbrannten vor Kurzem 7 Tonnen Honig. Er war mit grossen Antibiotika-Rückständen verseucht. Der Hintergrund: Bauern besprühen seit 2008 Apfel- und Birnen-Niederstammkulturen mit dem umstrittenen Antibiotikum Streptomycin, um sie gegen Feuerbrand zu schützen. 2008 mussten Imker schon einmal 3,2 Tonnen Honig vernichten, weil er zu viel Rückstände aufwies.
Schweizer Bauern setzen mehr Pestizide ein als ausländische
Für Ämter- und Bauernvertreter sind das alles bloss Einzelfälle und «administrative Fehler». Doch eine Studie des Bundesamtes für Umweltschutz stellte 2009 fest, dass Schweizer Bauern doppelt so viel Pflanzenschutzmittel einsetzen wie ihre Berufskollegen in Deutschland und Österreich und 15 Prozent mehr als Landwirte in Frankreich.
Schweizer Bauern verspritzen jährlich im Schnitt auf jeder Hektare landwirtschaftlicher Nutzfläche 4,5 Kilo Pestizide. 59 Prozent der Menge kommt laut der Studie im Ackerbau zum Einsatz, der 27 Prozent der Agrarfläche umfasst. 34 Prozent der Pestizide setzen die Bauern im Gemüse-, Obst- und Rebbau ein, der 2,6 Prozent der Landwirtschaftsfläche ausmacht. Die Studie erklärt den Spritzeifer der Bauern damit, dass für sie die Ausgaben für Pestizide wegen der hohen Verkaufspreise ihrer Produkte weniger ins Gewicht fallen und sich eher lohnen als für Landwirte im Ausland.
Der Schweizer Pestizidverbrauch bewegt sich laut der Statistik des Bundesamts für Landwirtschaft seit 2006 auf hohem Niveau, nämlich bei rund 2200 Tonnen. Laut einer Agronomin, die sich mit dem Thema beschäftigt, aber anonym bleiben will, besorgten sich zudem viele Bauern oft illegale Pestizide im Ausland.
Das wäre nicht erstaunlich. Denn fehlbare Landwirte müssen nur wenig befürchten. Die Landwirtschaftsämter der Kantone Zürich und Luzern haben gemäss saldo-Recherchen noch nie einen Bauern wegen des Einsatzes falscher oder unerlaubt grosser Pestizidmengen verzeigt – obwohl die Ämter genau für diese Kontrollen zuständig wären. Auch die Prüfer, die den «ökologischen Leistungsnachweis» der Bauern kontrollieren, nehmen nie deren Kaufquittungen für Pestizide oder Pestizidvorräte in Augenschein.
Selbst kantonale Ämter kritisieren die Pestizid-Grenzwerte
Die Folgen sind drastisch. Immer wieder weisen Früchte und Gemüse in Tests von saldo und «K-Tipp» Pestizidrückstände auf, zum Beispiel Erdbeeren (saldo 12/07), Tafeltrauben («K-Tipp» 19/10) oder Kopfsalat («K-Tipp» 3/08).
Pestizidrückstände stehen laut zahlreicher Studien im Verdacht, Krebs zu fördern, die Zellteilung zu stören und das Erbgut zu verändern. Erst jüngst haben neue Studien die Rückstände des in der Schweiz meistverkauften Unkrautvernichtungsmittels Round-Up mit Krebs, Nervenkrankheiten und Geburtsfehlern in Verbindung gebracht («K-Tipp» 10/11). Selbst die kantonalen Umweltämter Luzern und Aargau kritisieren in ihrer Pestizid-Studie die gesetzlichen Grenzwerte: Diese beziehen sich nur auf Einzelstoffe – in den meisten Gewässern sind jedoch mehrere Pestizide, deren Wirkung sich addiere.
Die Vereinigung Vision Landwirtschaft fordert deshalb ein Verbot des Antibiotika-Einsatzes in der freien Natur, die Einführung einer zentralen Datenbank zu verkauften Pflanzenschutzmitteln, eine Buchführungspflicht für Bauern und regelmässige amtliche Stichproben auf den Feldern.
Der Bauernverband wehrt sich gegen strengere Auflagen
Marcel Liner von der Umweltschutzorganisation Pro Natura setzt auf eine staatliche Lenkungsabgabe: «Wer viel Gift versprüht, soll dafür bezahlen. Der Bund sollte Bauern, die auf Pestizide verzichten, mit höheren Direktzahlungen belohnen.» Zudem fordert Liner ein Verbot, Pestizide in der Nähe von Grundwasserbrunnen auszubringen.
Der Bauernverband lehnt schärfere Auflagen im Umgang mit Pestiziden ab. Die jetzigen Regeln seien schon streng. Weitere Auflagen würden «die Produktion unnötig verteuern» und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Bauern verschlechtern.
Konsumenten haben jetzt schon eine Möglichkeit, Pestizide im Essen zu vermeiden. Wie saldo-Tests zeigten, sind Ökoprodukte meist weniger mit Giften belastet als solche aus konventioneller Produktion.