Mangelhafte Implantate: Patienten zu wenig geschützt
Die Qualität von Hüft- und Knieprothesen ist oft mangelhaft. Jede zehnte Operation muss wiederholt werden. Ein Register für Implantate ist dringend nötig.
Inhalt
saldo 13/2011
28.08.2011
Letzte Aktualisierung:
30.08.2011
Eric Breitinger
Heinz Härri aus Buchs AG hat vor neun Jahren ein neues Hüftgelenk erhalten. Seither musste er vier weitere Male unters Messer. Grund: Das erste Kunstgelenk war in drei Teile zerfallen und beschädigte den Knochen. Der US-Hersteller Smith & Nephew nahm das Modell wegen Mängeln vom Markt.
Im Jahr 2008 liessen sich in der Schweiz laut Bundesamt für Statistik knapp 19 000 Patienten künstliche Hüftprothesen und fast 14 400 Patienten künstli­...
Heinz Härri aus Buchs AG hat vor neun Jahren ein neues Hüftgelenk erhalten. Seither musste er vier weitere Male unters Messer. Grund: Das erste Kunstgelenk war in drei Teile zerfallen und beschädigte den Knochen. Der US-Hersteller Smith & Nephew nahm das Modell wegen Mängeln vom Markt.
Im Jahr 2008 liessen sich in der Schweiz laut Bundesamt für Statistik knapp 19 000 Patienten künstliche Hüftprothesen und fast 14 400 Patienten künstliche Kniegelenke einsetzen. Bei jeder zehnten Hüftgelenksoperation und jedem zwölften Kniegelenkeingriff mussten die Ärzte ein Implantat austauschen. Meist hatte es sich gelockert, weil Ärzte beim Einbau unsorgfältig arbeiteten oder das Gelenk fehlerhaft war. Die Kosten dafür tragen die Patienten und die Prämienzahler: Jeder Austausch kostet die Kassen bis zu 50 000 Franken. Bei 3000 solcher Eingriffe sind das bis zu 150 Millionen Franken im Jahr.
Behörden testen selber keine Medizinalprodukte
Die Schweizer Behörden tun wenig zum Schutz der Patienten. Ein Hersteller muss für ein neues Produkt nur gerade ein Prüfinstitut beauftragen, das dem Produkt ein CE-Zeichen als Sicherheitssiegel aufklebt. Diese Institute prüfen nur schriftliche Unterlagen und Produktionsprozesse, nicht die Produkte selbst. Die Heilmittelbehörde Swissmedic ist bei Medizinalprodukten laut einer Sprecherin «primär reaktiv tätig». Das heisst: Das Amt handelt in der Regel nur bei negativen Rückmeldungen. Die Hersteller nehmen Risiken in Kauf. Sie mussten in der Schweiz von Anfang 2008 bis Juni 2011 sieben Hüft- und vier Knieprothesen wegen Sicherheitsmängeln zurückrufen (siehe «Gesundheitstipp» 6/11).
Es gäbe ein einfaches Mittel, mangelhafte Produkte zu erkennen: die Einführung eines nationalen Orthopädie-Registers. Dazu müssten alle in der Schweiz neu implantierten Gelenke in einer Datenbank erfasst werden. So wäre die Qualität der Prothesen vergleichbar. Zudem liessen sich die Erfolgsquoten von Operationstechniken, Spitälern und Ärzten feststellen. Orthopädische Register gibt es zum Beispiel in England, Dänemark, Australien, Rumänien oder Neuseeland. Als besonders erfolgreich gilt das 1979 gegründete schwedische Hüftgelenk-Register: Erhebungen zeigen, dass das Register die Fehlerquote von Gelenkersatz-Operationen reduzieren und die allgemeine Behandlungsqualität anheben konnte. Die Ärzte verpflanzen heute nur noch wenige, gute Implantate. Die schlechten verschwanden vom Markt.
Frühwarnsystem würde helfen, Knochenschäden zu reduzieren
Peter Liniger von der Stiftung für Qualität in der Implantationsmedizin in Bern sagt: «Ein solches Register senkt die Anzahl von Operationen, die wiederholt werden müssen.» Auch Silvia Schütz vom Krankenkassenverband Santésuisse fordert ein Register als «Frühwarnsystem bei Implantatversagen». Treten bei neuen Produkten häufig gleiche Fehler auf, können die Registerbetreiber Alarm schlagen, den Hersteller informieren und die Orthopäden warnen.
Das Orthopädie-Register würde die Spitäler auch in die Lage versetzen, die Patienten frühzeitig zu informieren und zur Nachkontrolle aufzubieten. Denn schadhafte Kunstgelenke sollten auf keinen Fall länger als nötig im Körper bleiben. Laut Christoph Roeder von der Uni Bern kann «jede Lockerung des Implantats die Knochen zerstören, ohne dass der Patient Schmerzen verspürt». Diese Schäden schmälern laut Roeder die Erfolgsaussichten späterer Eingriffe und erhöhen das Risiko, dass weitere Revisionsoperationen nötig sind.
Schweiz startet mit der Datenbank frühestens ab 2012
Ob ein Schweizer Register kommt, ist unklar. Eigentlich hatten sich die Verbände der Krankenkassen, Orthopäden und Hersteller schon 2007 auf den Aufbau geeinigt – und die Stiftung für Qualität in der Implantationsmedizin ins Leben gerufen. Bislang haperte es angeblich mit der Startfinanzierung von 500 000 Franken. Geschäftsführer Peter Liniger hofft, ab 2012 mit der Datenerfassung beginnen zu können.