Unfallversicherung: Drohender Abbau ohne jeglichen Anlass
Die Versicherungslobby im Parlament will einen Abbau bei der Unfallversicherung durchsetzen.
Inhalt
saldo 19/2009
15.11.2009
Letzte Aktualisierung:
17.11.2009
Jonas Arnold
Eine Erfolgsgeschichte: Heute sind alle Angestellten gegen Berufsunfälle versichert – bis zu einem Jahreslohn von 126‘000 Franken. Arbeitet man mehr als acht Stunden pro Woche, sind auch Freizeitunfälle abgedeckt. Betriebe und Angestellte teilen sich die Prämien. Diese sind tief, weil Unfälle im Vergleich zu Krankheiten viel seltener sind.
Trotzdem forderte die Mehrheit der Sozialkommission des Nationalrats kürzlich, dass der versicherte Lohn g...
Eine Erfolgsgeschichte: Heute sind alle Angestellten gegen Berufsunfälle versichert – bis zu einem Jahreslohn von 126‘000 Franken. Arbeitet man mehr als acht Stunden pro Woche, sind auch Freizeitunfälle abgedeckt. Betriebe und Angestellte teilen sich die Prämien. Diese sind tief, weil Unfälle im Vergleich zu Krankheiten viel seltener sind.
Trotzdem forderte die Mehrheit der Sozialkommission des Nationalrats kürzlich, dass der versicherte Lohn gesenkt wird: Nur noch 85 bis 90 Prozent der Erwerbstätigen sollen voll unfallversichert sein. Heute müssen es laut Gesetz zwischen 92 und 96 Prozent sein. Die Untergrenze von 85 Prozent entspricht laut Berechnungen des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes einem Jahreslohn von 96‘000 Franken.
Höhere Prämien trotz tieferer Risikodeckung
Das bedeutet: Wer mehr verdient als 96‘000 Franken, müsste mit gekürztem Taggeld und tieferer Rente rechnen. Wer das vermeiden will, wäre auf eine private Zusatzversicherung angewiesen. Über die Aufnahme entscheidet hier der Gesundheitszustand. Gegenwärtig zahlen Personen mit höherem Lohn mehr Prämien als Wenigverdienende, weil die Prämie von der Höhe des Lohns abhängig ist. Gleichzeitig verunfallen Besserverdienende deutlich seltener, weil ihre Berufe weniger gefährlich sind. Wird die Forderung der Sozialkommission umgesetzt, fallen die Prämieneinnahmen tiefer aus. Die Unfälle bei den Schlechtverdienenden gehen aber nicht zurück.
Folge: Die Prämien müssten erhöht werden – obwohl weniger Lohnanteile versichert sind! Nicht nur der Mittelstand würde schlechter fahren. Auch die weniger gut Verdienenden wären betroffen, weil sie höhere Prämien zahlen müssten. Zu den Verlierern würden auch die Arbeitgeber gehören. Ihnen drohen ebenfalls höhere Prämien. Für ihre gut verdienenden Angestellten müssten sie zudem Zusatzversicherungen abschliessen, wenn diese zu den bisherigen Bedingungen versichert sein sollen. Davon ist auszugehen. Alles andere würde eine Änderung des Arbeitsvertrages voraussetzen. Für den Thurgauer FDP-Nationalrat Werner Messmer, Präsident des Baumeisterverbandes, ist deshalb klar: «Der Entscheid ist geprägt vom Eigennutz der Privatversicherer.»
Tatsächlich: Für Privatversicherer wäre ein tieferer obligatorisch versicherter Lohn lukrativ. Sie könnten künftig mit mehr Zusatzversicherten rechnen. Dasselbe gilt auch für grosse Krankenkassen wie die Groupe Mutuel, die Helsana oder die CSS – sie treten bereits heute auch als Unfallversicherer auf dem Markt auf.
Die Engagements der Kommissionsmitglieder
Die Versicherungslobby ist in der Sozialkommission des Nationalrats stark:
- Der Präsident der Kommission, der Zürcher SVP-Nationalrat Jürg Stahl, sitzt in der Geschäftsleitung der Groupe Mutuel.
- Der Solothurner SVP-Nationalrat Roland Borer und der Berner FDP-Nationalrat Pierre Triponez sind Mitglieder der parlamentarischen «Groupe de reflexion santé», welche von der Groupe Mutuel gesponsert wird.
- Der Waadtländer FDP-Nationalrat Claude Ruey ist Verwaltungsratspräsident des Krankenkassenverbandes Santésuisse. Die Aargauer CVP-Nationalrätin Ruth Humbel-Näf arbeitet ebenfalls für diesen Verband.
- Die Freiburger CVP-Nationalrätin Thérèse Meyer-Kaelin ist Verwaltungsratsdelegierte der Mobiliar-Versicherung.
Unfallversicherungen: Aufschläge trotz Milliardenpolster
Den Unfallversicherungen gehts blendend: Seit Jahren nehmen sie mehr ein, als sie ausgeben. 2006 und 2007 waren es je mehr als 2 Milliarden. Das Reservekapital ist auf über 40 Milliarden gewachsen. Trotzdem schlagen die Unfallversicherer auf nächstes Jahr mit den Prämien auf: So schrieb die Zürich-Versicherungsgesellschaft den «sehr geehrten Kundinnen und Kunden», der Zuschlag für die Finanzierung der Teuerungszulagen auf den Renten müsse erhöht werden, weil «die Zinsüberschüsse nicht ausreichen» würden. Die Prämienerhöhung beträgt 6 Prozent. saldo fragte nach den Zahlen, die den Aufschlag begründen sollen. Weder die angefragten Privatversicherer noch die Suva wollten sich in die Bücher blicken lassen.