Pensionskassen: Anonyme Abstimmungskampagne für eine weitere Rentenkürzung
Den Pensionskassen geht es finanziell viel besser, als sie ständig behaupten. Trotzdem wollen sie die Renten weiter kürzen. Dazu starten sie eine Kampagne – auf Kosten der Versicherten.
Inhalt
saldo 18/2009
01.11.2009
Letzte Aktualisierung:
03.11.2009
Petra Stöhr
Anfang Jahr überboten sich die Medien mit Schreckensmeldungen über die angeblich bedrohliche finanzielle Lage der Pensionskassen. Gastrosocial zum Beispiel, die Pensionskasse für über 20'000 Gastronomiebetriebe mit mehr als 130'000 Versicherten, habe Ende 2008 einen Deckungsgrad von nur noch 94,1 Prozent aufgewiesen. Der Deckungsgrad sagt, wie weit eine Vorsorgeeinrichtung ihren Verpflichtungen nachkommen könnte, wenn alle Versicherten ihr Guthaben gleichzeitig bezieh...
Anfang Jahr überboten sich die Medien mit Schreckensmeldungen über die angeblich bedrohliche finanzielle Lage der Pensionskassen. Gastrosocial zum Beispiel, die Pensionskasse für über 20'000 Gastronomiebetriebe mit mehr als 130'000 Versicherten, habe Ende 2008 einen Deckungsgrad von nur noch 94,1 Prozent aufgewiesen. Der Deckungsgrad sagt, wie weit eine Vorsorgeeinrichtung ihren Verpflichtungen nachkommen könnte, wenn alle Versicherten ihr Guthaben gleichzeitig beziehen würden (siehe unten).
Von wegen Unterdeckung der Gastrosocial: Heute steht die Kasse ganz anders da. Am 30. September lag der Deckungsgrad laut eigenen Angaben bei 100,5 Prozent – eine Steigerung von 6,8 Prozent. Gar um über 10 Prozent verbessert hat sich der Deckungsgrad der Cablecom-Pensionskasse: Aus der deutlichen Unterdeckung von 89 Prozent wurde Ende September noch eine leichte von 98 Prozent.
Zwei Drittel haben einen vollen Deckungsgrad
Diese zwei Beispiele sind keine Einzelfälle. Die Deckungsgrade der Schweizer Vorsorgeeinrichtungen sind seit Frühjahr massiv gestiegen, wie eine saldo-Umfrage bei über zwanzig Sammelstiftungen und Pensionskassen unterschiedlicher Branchen zeigt (siehe Tabelle im pdf-Artikel). Die angefragten Stiftungen und Pensionskassen basieren allesamt auf dem Beitragsprimat: Das heisst, sie führen für jeden Versicherten ein individuelles Konto, das bei der Pensionierung in eine Altersrente umgewandelt wird.
Zwei Drittel der angefragten Vorsorgeeinrichtungen wiesen Ende September einen vollen Deckungsgrad auf. Schreckensmeldungen wie «Heimtückische Unterdeckung» in der «NZZ am Sonntag» oder «Pensionskassen mit Rekordverlusten» in der NZZ waren somit nichts als Panikmache. Denn mit den steigenden Börsenkursen verbesserte sich die finanzielle Situation der Vorsorgeeinrichtungen.
Ein Grossteil der angeblichen Verluste von 2008 waren ohnehin nicht real verlorenes Kapital, sondern rein buchhalterische Verluste (saldo 6/09). Das heisst: Jeweils am 31. Dezember eines Jahres bewerten die Pensionskassen in den Bilanzen ihre Wertschriften. Das Ganze ist eine Momentaufnahme, abhängig von den Börsenkursen an diesem Tag, und sagt wenig über die tatsächliche finanzielle Situation einer Pensionskasse aus. Denn die Papiere werden an diesem Tag nicht verkauft, sondern in der Regel frühestens dann, wenn ein Gewinn realisiert werden kann.
Hunderttausende Franken für Inserate
Hinter den Schreckensmeldungen steckt eine politische Absicht. Die Pensionskassen wollen die Renten kürzen. Die Abstimmung darüber findet am 7. März 2010 statt. Noch bevor der Abstimmungstermin feststand, begann die Kampagne «Ja zu einem fairen Umwandlungssatz». Bereits in den ersten Wochen im Oktober wurden in Zeitungen und Zeitschriften Inserate für mehrere hunderttausend Franken publiziert.
Economiesuisse hat die Fäden in der Hand
Dazu kommt eine aufwen-dige Plakatkampagne. «Unsere Pensionskasse muss länger reichen», steht auf den Aushängen. Sie zeigen einen Geburtstagskuchen mit der Zahl 100. Dass die Schweizer Bevölkerung nicht ganz so alt wird, spielt offenbar keine Rolle: Pensionierte erreichen nach den Zahlen des Bundesamts für Statistik durchschnittlich ein Lebensalter von 84 Jahren.
Hinter der Kampagne steckt ein anonymes Komitee «Fairer Umwandlungssatz für sichere Renten» mit einer Postfach-Adresse in Bern. Auch die Homepage schweigt sich aus, wer hinter diesem Komitee steht. saldo-Recherchen haben ergeben: Federführend für die Kampagne ist der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse. Laut Urs Rellstab von Economiesuisse liegt die politische Leitung allerdings bei der FDP. Auf die Frage, wer die Kampagne finanziere, sagt Rellstab: «Die Kampagne wird von Economiesuisse in Zusammenarbeit mit Pensionskassen und Versicherungen geführt.» Wie viel Geld für die Kampagne gegen die Interessen der Versicherten eingesetzt wird, will Rellstab nicht sagen.
Verbände bestätigen finanzielles Engagement
Der Versicherungsverband (SVV) und der Pensionskassenverband (ASIP) bestätigen gegenüber saldo, dass sie sich finanziell an der Kampagne beteiligen. ASIP-Direktor Hanspeter Konrad: «Der Beitrag stammt aus dem Verbandsvermögen.» Auf die Frage, ob Gelder von Versicherten in die Kampagne fliessen, geht er nicht ein. Und SVV-Sprecher Frank Keidel sagt: «Das Geld stammt aus den Beiträgen unserer Mitgliedergesellschaften.» Um welche Gelder der Versicherungsgesellschaften es sich dabei genau handelt, will niemand sagen: Der Verband hat 74 Mitglieder – darunter alle grossen Versicherungen wie Axa Winterthur, Zürich, Basler, Mobiliar, Vaudoise, Allianz, Swiss Re und Swiss Life sowie Krankenkassen, unter anderem die Helsana und die CSS.
Gewerkschafter: «Es geht um höhere Profite»
Klar ist: Die Versicherungen und Pensionskassen haben ein grosses Interesse daran, dass die Renten weiter gesenkt werden. Das ermöglicht höhere Gewinne im Pensionskassengeschäft, die zum Teil an die Aktionäre der Gesellschaften fliessen. Nico Lutz von der Gewerkschaft Unia: «Die Versicherungen behaupten, sie könnten ihre Renditevorgaben nicht mehr erreichen und müssten daher den Umwandlungssatz senken. In Wirklichkeit wollen sie ihre Profite erhöhen.»
Sinkt der Umwandlungssatz, gehen die Verpflichtungen der Vorsorgeeinrichtungen zurück, da sie weniger hohe Renten zahlen müssen. Lutz: «So werden die Versicherungen noch mehr Geld von den Versicherten für ihre Aktionäre und die Pensionskassen überhöhte Verwaltungskosten abzweigen.» Die Gewerkschaften hingegen sehen die berufliche Vorsorge nicht als Geschäft, sondern als eine Sozialversicherung.
Begriffe
- Der Deckungsgrad: Er gibt an, bis zu welchem Grad eine Pensionskasse alle aktuellen und künftigen Verpflichtungen erfüllen könnte, wenn sie alle Versicherten an einem Tag auszahlen müsste. Dieser Fall tritt praktisch nie ein, da nicht alle Versicherten gleichzeitig den Arbeitgeber wechseln oder am selben Tag pensioniert werden. Ein Deckungsgrad von 105 Prozent bedeutet, dass das Vermögen der Kasse das Sparkapital der aktiven Beitragszahler sowie die künftigen Rentenverpflichtungen um 5 Prozent übersteigt. Es sind also Reserven vorhanden.
- Der Umwandlungssatz: Er bestimmt, wie aus dem bis zur Pension angesparten Altersguthaben die Rente berechnet wird. Je höher der Satz, umso mehr Rente erhalten die Pensionierten. Seit 2005 wird der Satz schrittweise auf 6,8 gesenkt. Das genügt den Versicherungen und der Mehrheit des Parlaments nicht. Sie wollen ihn ab 2015 auf 6,4 senken. So haben sie es im letzten Dezember beschlossen. Das bedeutet gegenüber 2005 eine Rentenkürzung von über 10 Prozent. Betroffen wären alle Angestellten, die ab 2015 pensioniert werden.
- Die Abstimmung: Gegen diese neuerliche Rentenkürzung haben saldo, K-Tipp, Gewerkschaften und diverse Parteien das Referendum ergriffen – über 200‘000 haben es unterschrieben. Der Bundesrat hat kürzlich beschlossen, dass die Abstimmung am 7. März 2010 stattfinden wird.