Hotel Kreuz in Bern, grosser Saal: Fast jeder Platz ist besetzt. Rund 150 Personen sind an diesem Februartag an eine Tagung der Krebsliga gereist. Das Thema: «Elektromagnetische Felder und Gesundheit.» Einer der Redner ist Joachim Schütz von der dänischen Krebsgesellschaft. Zur Frage, ob Handystrahlung Hirntumore auslösen könne, sagt Schütz: «Es gibt bisher keine Hinweise, dass das Risiko erhöht ist.» Schütz zitiert eine grossangelegte dänische Studie aus den Jahren 1983 bis 1995.
Im Publikum sitzt Hans-Ulrich Jakob, Präsident von Gigaherz, der Interessengemeinschaft Elektrosmog-Betroffener. In der Diskussion kritisiert er die Argumentation von Schütz scharf: «Die zitierte Studie stammt aus dem Telekommunikations-Mittelalter. Damals hatte nur das höhere Kader ein Handy.» Mit der heutigen Situation, wo 13-Jährige stundenlang mit dem Handy telefonierten, sei dies nicht vergleichbar. Die Krebsliga organisierte die Tagung mit der Forschungsstiftung Mobilkommunikation. Diese Stiftung ist nicht unabhängig: Die Mobilfunkindustrie finanziert sie zu 95 Prozent. Die St. Galler Nationalrätin Yvonne Gilli von den Ärzten für Umweltschutz sagt dazu: «Von der Krebsliga erwarte ich, dass sie neutral ist. Sie vertritt aber die Interessen der Industrie.»
«Es ist Realität, dass Elektrosmog krank macht; das ist keine Einbildung»
Gregor Dürrenberger, Geschäftsleiter der Stiftung, stellte an der Tagung das Thema Mobilfunk als ein Risiko dar, das die Medien bis vor kurzem hochspielten. «In der jüngeren Vergangenheit», so Dürrenberger, «hat das Thema in Politik und Medien etwas an Aufmerksamkeit verloren.» Dem widerspricht Hans-Ulrich Jakob vehement. Die Dienstleistungen des Vereins Gigaherz etwa bei Einsprachen gegen Handymasten seien mehr denn je gefragt. Der Verein sei kräftig am Wachsen: «Allein im letzten Jahr hat die Mitgliederzahl um gut 60 Prozent zugenommen.» Yvonne Gilli entschloss sich trotz Bedenken, an der Podiumsdiskussion zum Schluss der Tagung teilzunehmen. «Es war mir wichtig, meine Sicht der Dinge zu vertreten. Es ist Realität, dass Elektrosmog krank macht; das ist keine Einbildung.» Rund 5 Prozent der Bevölkerung, schätzt Gilli aufgrund ihrer Arbeit als Ärztin, haben Beschwerden wegen Elektrosmog oder sind krank.
Zuhörer an der Tagung war auch der Baubiologe Guido Huwiler. Manchmal habe er es fast nicht ausgehalten, sagt Huwiler: «Ich kam mir vor wie im falschen Film.» Er sehe täglich Leute, die an Elektrosmog leiden – «aber diese Forscher hier sagen ständig, ein Zusammenhang lasse sich nicht beweisen». Die Krebsliga bestreitet, dass die Tagung einseitig gewesen sei. Ziel war «eine Auslegeordnung zum bestehenden Wissen und Noch-nicht-Wissen». Insgesamt seien die bisherigen Befunde «beruhigend»: «Die Mehrheit der aktuellen Studien zeigt, dass negative Gesundheitseffekte durch Elektrosmog kaum wahrscheinlich sind.» Die von Joachim Schütz zitierte Studie hält die Krebsliga für relevant: «Krebs entwickelt sich sehr langsam, oft über Jahrzehnte. Deshalb berücksichtigte diese Studie Menschen, die bereits von 1982 bis 1995 ihr Handy regelmässig nutzten.» Deren Resultat sei «selbstverständlich kein definitives Fazit zur Frage, ob Elektrosmog Hirntumore auslöst – aber ein starker vorläufiger Hinweis, dass das Risiko klein ist».
Krebsliga bezweifelt Zusammenhang zwischen Beschwerden und Elektrosmog
Die Krebsliga zitiert eine Umfrage aus dem letzten Jahr, wonach die Medienberichte über Elektrosmog abgenommen haben. «Uns ist aber bewusst, dass dies im Widerspruch zur Situation persönlich betroffener Menschen stehen kann.» Trotzdem bezweifelt die Krebsliga, dass Menschen wirklich an Elektrosmog leiden: «Der Grossteil der neueren Studien konnte keinen Zusammenhang zwischen Beschwerden und Elektrosmog finden.» Vielmehr hätten die Symptome zum Teil «auf der Erwartungshaltung der Studienteilnehmer» beruht. Die Zusammenarbeit mit der von der Industrie finanzierten Forschungsstiftung Mobilkommunikation erklärt die Krebsliga so: «Die Stiftung ist die fundierteste Kompetenzstelle in der Schweiz rund ums Thema Mobilfunk.» Die Krebsliga habe die Tagung vollumfänglich selber finanziert.
Stromkonzerne an Finanzierung der Schweizer Leukämie-Studie beteiligt
Die Krebsliga steht nicht zum ersten Mal in der Kritik, zu eng mit der Industrie verbandelt zu sein. Auch beim Gesundheitsrisiko, das von Atomkraftwerken ausgeht, ist dies der Fall. Eine Studie in Deutschland zeigte: Kinder, die in der Nähe eines Atomkraftwerks aufwachsen, haben ein höheres Risiko, an Leukämie zu erkranken. Nun soll eine Studie untersuchen, ob dies auch in der Schweiz der Fall ist. Die Krebsliga finanziert diese Studie zur Hälfte. Der Rest des Geldes kommt vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) und von den Stromkonzernen Axpo und BKW. Der Axpo gehören zwei der fünf Schweizer Atomkraftwerke, der BKW eines. Die Krebsliga schreibt dazu: «Das BAG verhandelte mit den Stromfirmen, die Krebsliga war hier nicht beteiligt.» Die Firmen hätten aber «keinerlei Einfluss» darauf, wie die Studie aufgebaut sei und die Resultate veröffentlicht würden.