Fast könnte man meinen, es läge ein Fluch über dem Bauernhaus der Familie Beeler in Lauerz SZ. Martin Beeler war noch ein Bub, als seine Mutter an Herzversagen starb. Sie war erst 59 Jahre alt. Als er mit seiner eigenen Familie in dem Haus wohnte, kam der nächste Schicksalsschlag: Seine Frau erlitt einen Hirnschlag.
Rund 20 Meter neben dem Haus verläuft eine Hochspannungsleitung. «Damals begann ich mich zu fragen, ob die Leitung einen Einfluss auf die Gesundheit haben könnte», erinnert sich Martin Beeler. Wenige Jahre später hat seine Frau einen zweiten Hirnschlag. Das Paar beschliesst, den Hof zu verlassen.
An seiner Stelle zieht Beelers Sohn ein – und bekommt Lymphdrüsenkrebs. Er lässt sich behandeln, doch der Krebs kommt zurück. Da zieht auch er aus. Die Familie vermietet den Hof. Schon nach kurzer Zeit leidet der Mieter an psychischen Problemen.
Studien weisen erhöhtes Krebsrisiko nach
Heute ist für Martin Beeler klar: Die Hochspannungsleitung ist schuld, dass in dem Haus so viele Menschen schwer krank wurden. «Das ist kein Zufall mehr.»
Hochspannungsleitungen können krank machen. Zahlreiche Studien zeigen etwa einen Zusammenhang mit Krebs. Der «Gesundheitstipp» (Ausgabe 7/05) berichtete zum Beispiel vom kleinen Dorf Jaun im Kanton Freiburg, wo in den letzten 50 Jahren zehn Menschen an Leukämie gestorben sind, darunter sechs Kinder. Zudem erkrankten sechs Personen an Hirntumor. Die Einwohner hegen den Verdacht, Auslöser könne die Hochspannungsleitung sein, die am Dorf vorbeiführt.
Auch das Bundesamt für Umwelt schreibt in einer Broschüre: «Ab einer Langzeitbelastung von 0,4 Mikrotesla besteht möglicherweise ein doppelt so hohes Risiko für Leukämie bei Kindern.»
Atel will die Leitung nicht in den Boden verlegen
Der Hof von Martin Beeler ist fast 50-mal stärker belastet: Eine Messung im Auftrag des Energiekonzerns Atel, dem die Leitung gehört, zeigte 18,3 Mikrotesla an.
Jetzt hat Beeler die Chance, sich zu wehren. Die Atel will die Leitung aus dem Jahr 1948 abbrechen und durch eine neue ersetzen. Dagegen hat Martin Beeler Einsprache erhoben. Er fordert, dass die Leitung in den Boden verlegt wird – denn neue unterirdische Leitungen, die mit einem Gasgemisch isoliert sind, verursachen keinen Elektrosmog.
Die Atel behauptet, das Bauprojekt sei eine Sanierung einer bestehenden Leitung. Deshalb müsse diese auch künftig nur den Grenzwert für alte Leitungen von 100 Mikrotesla einhalten. Für neue Leitungen gilt ein neuer, viel strengerer Grenzwert, nämlich 1,0 Mikrotesla. Laut Berechnungen wird die Leitung diesen Wert deutlich überschreiten.
Ein Umweltbericht, den die Atel in Auftrag gab und der saldo vorliegt, bringt allerdings ans Licht: Die Leitung soll komplett abgebrochen und neu gebaut werden. Wörtlich heisst es: «Die Leiterseile werden eingezogen, 86 Masten abgebrochen und alle Mastfundamente abgetragen.» Sie sollen durch neue, höhere Masten ersetzt werden.
Martin Beeler kann nicht verstehen, wie die Atel deshalb von einer Sanierung sprechen kann: «Ich kann ja auch nicht mein Haus bis aufs Fundament abreissen, neu bauen und dann sagen, es sei nur ein Umbau.»
Gemeinde macht mit im Kampf gegen die Leitung
Die Atel schreibt saldo, laut einem Dokument des Bundesamtes für Umwelt gelte «die Erstellung einer neuen Leitung im Einflussbereich einer alten als Änderung einer bestehenden Anlage».
Über Beelers Einsprache muss jetzt das Bundesamt für Energie entscheiden. Für ihn ist klar: «Wenn nötig, gehe ich bis vor Bundesgericht.» Hilfe in seinem Kampf gegen den Stromriesen Atel erfährt Martin Beeler von der Gemeinde Lauerz. Auch sie hat gegen die Leitung Einsprache erhoben. Gemeindepräsident Karl Schnyder: «Ich weiss von mehreren Anwohnern, die massive Gesundheitsprobleme haben. Die lassen wir nicht im Stich.»
Schnyder ist sich bewusst: Ein Zusammenhang mit der Leitung lässt sich nur schwer beweisen. «Aber ich gehe davon aus, dass es nicht unbedingt gesund ist, jahrelang unter einer Hochspannungsleitung zu leben.»
Die Atel schreibt dazu, ein Zusammenhang zwischen Hochspannungsleitungen und «behaupteten massiven Gesundheitsproblemen» sei «wissenschaftlich nicht eindeutig erbracht». Das Leitungsprojekt in Lauerz entspreche den «gesetzlichen Rahmenbedingungen».
Immer öfter stellen sich Gemeinden hinter ihre Bürger und sprechen sich gegen geplante Leitungen aus. So auch die Berner Vorortsgemeinde Köniz. Dort wollen die Berner Kraftwerke BKW eine bestehende Leitung durch eine neue, stärkere ersetzen – teilweise durch besiedeltes Gebiet. «Wir machen uns Sorgen um die Gesundheit der Bevölkerung», sagt die Könizer Gemeinderätin Katrin Sedlmayer. Auch diese Gemeinde kämpft mit einer Einsprache dafür, dass die BKW die Leitung in den Boden verlegen.
Kraftwerke weisen auf Klimagefährdung durch das Isoliergas hin
Die BKW schreibt saldo, die in Köniz geplante Leitung werde den Grenzwert einhalten. Sorge um die Gesundheit sei deshalb «nicht angebracht». Gasisolierte Leitungen lehne man ab, so die BKW weiter. Der Grund: Das verwendete Gas sei «ausserordentlich klimaschädigend». Und es könne «durchaus der Fall eintreten, dass bei Erdarbeiten irgendwelcher Art ein Leck verursacht wird und das Gas in die Atmosphäre gelangt».
Die Atel behauptet gar, der Einsatz des Gases sei «grundsätzlich nicht zulässig», und beruft sich auf das Bundesamt für Umwelt. Auf Anfrage stellt man dort jedoch klar: In Hochspannungsleitungen darf das Gas «unter strengen Auflagen» durchaus verwendet werden.
Mehrere hundert Einsprachen hängig
Auch in Langnau am Albis ZH sowie in der Westschweiz ergriffen Gemeinden Partei für die Anwohner – und sie schlossen sich zum Verein «Hochspannung unter den Boden» zusammen. Sieben Gemeinden sind derzeit Mitglied, dazu kommen lokale Bürgerinitiativen.
Einen ersten Erfolg konnten die Gegner der Strommasten im Wallis verbuchen: Kantonsregierung und Grosser Rat verlangten eine Machbarkeitsstudie. Sie soll prüfen, ob sich eine geplante Leitung in den Boden verlegen liesse.
Der Ball liegt jetzt beim Bundesamt für Energie. Dort macht sich die Aktivität des Vereins bemerkbar: «Mehrere hundert» Einsprachen seien zurzeit hängig, heisst es. Die Könizer Gemeinderätin Katrin Sedlmayer ist Vizepräsidentin des Vereins. Sie ist überzeugt, dass die Stimmung in der Bevölkerung und in der Politik gekippt ist: «Die Leute sind nicht mehr bereit, den Elektrosmog von Hochspannungsleitungen einfach so hinzunehmen.»
Tipps: Das können Anwohner von Hochspannungsleitungen tun:
- Lassen Sie die Belastung Ihrer Wohnung messen. Die Kosten betragen 300 bis 1000 Franken. Fachleute vermittelt das Institut für biologische Elektrotechnik, Tel. 0848 844 440 oder www.ibes.ch. Wählen Sie ein Unternehmen in Ihrer Nähe. Sonst kommt Sie der Anfahrtsweg teuer zu stehen.
- Mieter einer belasteten Wohnung sollten umziehen.
- Wohneigentümer können versuchen, Magnetfelder durch Gegenfelder kompensieren zu lassen. Das kostet mehrere tausend Franken.
- Erheben Sie Einsprache gegen den Neu- und Ausbau von Leitungen. Bis zur zweiten Instanz sind Einsprachen gratis. Tipps zu Einsprachen gibt die Interessengemeinschaft Elektrosmog-Betroffene. Kontakt: Hans-Ulrich Jakob, Tel. 031 731 04 31 oder www.gigaherz.ch.