Zu viel Jod kann krank machen
Zahlreiche Lebensmittel enthalten künstliches Jod, ohne dass dies deklariert ist. Dabei muss sich jeder Zehnte in der Bevölkerung vor zu viel Jod hüten.
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saldo 05/2010
13.03.2010
Letzte Aktualisierung:
16.03.2010
Eric Breitinger
Seit 1922 wird Speisesalz in der Schweizmit künstlichem Jod angereichert. So gelangt Jod dann auch in andere Lebensmittel. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) empfiehlt Herstellern diese «sinnvolle Massnahme zur Vorbeugung vor Krankheiten, die durch Jodmangel ausgelöst werden» – wie etwa Kropf oder Kretinismus. Das BAG bestreitet dabei jede Bevormundung der Konsumenten: Sie hätten ja stets die Wahl zwischen jodierten und unjodierten Lebensmitteln. He...
Seit 1922 wird Speisesalz in der Schweizmit künstlichem Jod angereichert. So gelangt Jod dann auch in andere Lebensmittel. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) empfiehlt Herstellern diese «sinnvolle Massnahme zur Vorbeugung vor Krankheiten, die durch Jodmangel ausgelöst werden» – wie etwa Kropf oder Kretinismus. Das BAG bestreitet dabei jede Bevormundung der Konsumenten: Sie hätten ja stets die Wahl zwischen jodierten und unjodierten Lebensmitteln. Hersteller müssten Jodsalz auf dem Produkt deklarieren.
Ob das jeder tut, ist fraglich. Die Migros erklärt auf Anfrage zwar, dass «die Deklaration der Zutaten auf Migros-Produkten dem Lebensmittelgesetz entspricht». In einem E-Mail an «Jod-Allergiker», das saldo vorliegt, räumt eine Migros-Ernährungsberaterin jedoch ein, dass «in verarbeiteten Lebensmitteln nach wie vor mit jodiertem Kochsalz zu rechnen ist, auch wenn nur Kochsalz deklariert ist». Ähnlich äusserte sich der Grossverteiler Ende 2009 gegenüber einem Selbsthilfeverein: «Leider können wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht garantieren, dass jodiertes Kochsalz flächendeckend als solches deklariert ist.» Weder Migros noch Coop führen eine Liste jodfreier Produkte.
Experten glauben, dass im Essen schädliche Mengen an Jod stecken
Welche Produkte wie stark jodiert sind, wissen auch die Kantonschemiker nicht genau. Sie überprüfen Jod-Deklarationen nur selten. «Das war noch nie ein Schwerpunkt von uns», sagt Zürichs Kantonschemiker Rolf Etter. «Das ist kein grosses Thema», sagt auch sein Basler Kollege Peter Brodmann.
Zudem muss Jod in Milch und Milchprodukten nicht deklariert werden, falls es nicht über Kochsalz ins Produkt gelangte. Denise Vanazzi vom Selbsthilfeverein «Krank durch Jod» meidet daher Schweizer Milchprodukte: «Fast alle enthalten Jod, auf das ich mit Entzündungen und Magen-Darm-Beschwerden reagiere.» Grund: Viele Bauern geben ihrem Vieh jodiertes Kraftfutter und Jodsalz-Lecksteine. Auch in den meisten Restaurantmenüs und offen verkauften Backwaren ist nach Vanazzis Erfahrung Jod, oft ohne dass das Verkaufspersonal das weiss.
Unzuverlässige Deklarationen sind für 10 Prozent der Bevölkerung ein Problem, da sie sich vor zu viel Jod hüten müssen. Laut Studien leidet jeder Zehnte an einer leichten bis mittelschweren Unterfunktion der Schilddrüse – meist eine Folge der Krankheit Hashimoto Thyreoiditis. Diese kann nach einem langjährigen Zerstörungsprozess zur Unterfunktion der Schilddrüse führen. Mögliche Folgen: Gewichtszunahme, Verdauungsstörungen, höhere Blutfettwerte sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Viele Experten gehen davon aus, dass Jod in Lebensmitteln eine Hashimoto-Erkrankung verschlimmern oder gar auslösen kann. Davon ist der Berliner Schilddrüsenexperte Jürgen Hengstmann überzeugt: «Das Jod in der Nahrung reichert sich auf Dauer in der Schilddrüse an und löst bei einer vererbten Veranlagung Hashimoto aus.» Anhand von Laboranalysen rechnet er mit einer täglichen Aufnahme von 300 bis 500 Mikrogramm, mehr als doppelt so viel, wie als gesund gilt. Das BAG verfügt über keine aktuellen Zahlen.
Experten fordern eine klare Deklaration von Jod
Kritisch betrachtet Hengstmann die Rolle der Pharmaindustrie: Sie fördert die Lebensmittel-Jodierung, indem sie etwa deutsche Jodierungs-Befürworter sponsert. Zugleich verdient sie an den Hashimoto-Kranken, die bei einer Unterfunktion lebenslang Schilddrüsenhormonpräparate einnehmen müssen. Mit diesen machten Hersteller 2009 in der Schweiz laut Marktforschungsfirma IMS 5 Millionen Franken Umsatz.
Doch selbst Kritiker rütteln nicht an der staatlich empfohlenen Jodierung: «Eine gewisse Menge an Jod braucht der Körper», sagt Hengstmann. Experten fordern stattdessen die konsequente Deklarierung von Jod, etwa in Milchprodukten. So verlangt Kaspar Berneis, Facharzt für Stoffwechselerkrankungen am Unispital Zürich, von den Herstellern, die genauen Jodmengen auf ihren Produkten zu deklarieren: «Nur so können die Konsumenten erfahren, was in ihrem Essen steckt, und sich entsprechend verhalten.»