Schweizer Haushalte zahlen pro Kilowattstunde Strom zwischen 15 und 24 Rappen. Im Jahr macht das insgesamt für einen Durchschnittshaushalt 675 bis 1080 Franken aus. Privathaushalte können den Lieferanten nicht wählen. Ihre Stromrechnung ist deshalb auch von seiner Einkaufsstrategie abhängig: Je nachdem, wo und zu welchem Preis der lokale Energielieferant den Strom einkauft oder produziert, zahlen die Haushaltskunden mehr oder weniger.
Beispiel: Das Elektrizitätswerk (EW) einer Ostschweizer Stadt kauft die Kilowattstunde Strom für 6,32 Rappen ein und liefert den Haushalten Strom, der zu 100 Prozent aus grossen Schweizer Wasserkraftwerken stammt. Das EW legte die Zahlen gegenüber saldo offen – aber es will nicht mit Namen genannt werden. Die Haushalte dieser Stadt erhalten im Standardmodell ausschliesslich erneuerbare Energie, und sie haben einen der tiefsten Stromtarife der Schweiz. Die Wasserkraftzertfikate stellt die nationale Netzgesellschaft Swissgrid aus. Mit den Zertifikaten soll sichergestellt werden, dass eine Kilowattstunde aus einem Wasserkraftwerk nur einmal als Wasserkraft-Kilowattstunde verkauft wird und die Konsumenten nicht betrogen werden.
Der Preis für diesen Wasserkraftstrom ist tiefer als die Stromherstellungskosten in den ältesten Schweizer AKW Mühleberg und Beznau: Der Stromkonzern BKW bezifferte die Produktionskosten Mühlebergs zuletzt auf rund 7 Rappen pro Kilowattstunde. Im Februar musste der Konzern zudem für das AKW einen höheren zweistelligen Millionenbetrag zurückstellen, weil die Produktionskosten Mühlebergs höher sind als der Wert, zu dem der Atomstrom auf dem Markt verkauft werden kann. Dies bestätigt ein BKW-Sprecher gegenüber saldo.
Atomstrom: Für viele Elektrizitätswerke ein Verlustgeschäft
Beim AKW Beznau steigen die Produktionskosten ab diesem Jahr ebenfalls deutlich an. Dies zeigt eine interne Präsentation des Betreibers Axpo, die saldo vorliegt. Grund dafür sind kostspielige Nachrüstungen, welche die Axpo in den nächsten zwei Jahren im alten Atommeiler vornehmen muss.
Offiziell sagt die Axpo zwar, dass die Produktionskosten des AKW Beznau zwischen 5 und 7 Rappen pro Kilowattstunde liegen. Selbst die Nachrüstungen für rund 700 Millionen Franken würden die Produktionskosten nicht über 7 Rappen heben. Doch damit kostet auch der Atomstrom aus Beznau mehr, als auf dem freien Markt dafür zu holen ist.
Die Aargauischen Elektrizitätswerke AEW haben einen längerfristigen Vertrag mit dem AKW Beznau. Die AEW sind verpflichtet, den teuren Atomstrom abzunehmen. Sie bezeichnen den Stromabnahmevertrag mit dem AKW Beznau als «belastend», weil heute die Bezugspreise des entsprechenden Vertrags über dem Marktpreis lägen. So steht es im aktuellen Geschäftsbericht. Das AEW musste deshalb eine Rückstellung von 5,2 Millionen Franken machen. Das Elektrizitätswerk muss den Strom also teurer einkaufen, als es ihn verkaufen kann. Der Atomstrom wird damit für die AEW zum Verlustgeschäft. Und die Haushalte können nicht von tiefen Marktpreisen profitieren.
Doch weshalb stellen Betreiber wie Axpo und BKW ihre alten AKW nicht einfach ab, wenn sie unrentabel sind? Die Frage ist nicht aus der Luft gegriffen: In den USA wurden letztes Jahr vier Atomkraftwerke abgeschaltet – aus finanziellen Gründen. Bei drei AKW hätten die US-Besitzer grosse Investitionen in die alten Reaktoren tätigen müssen – so wie die Axpo im aargauischen Beznau oder die BKW im bernischen Mühleberg. Doch die US-Elektrizitätsgesellschaften verzichteten aus betriebswirtschaftlichen Gründen auf Nachrüstungen und stellten die Reaktoren ab.
Die Betreiberin des AKW «Vermont Yankee» im Nordosten der USA gab zu, dass der alte Reaktor wegen tiefer Marktpreise und der hohen Kostenstruktur des Atommeilers nicht mehr rentabel betrieben werden könne. Das AKW ging 1972 ans Netz – im selben Jahr wie Mühleberg. Und es verfügt über den gleichen Reaktortyp desselben Herstellers wie Mühleberg.
Haushalte haben keine Wahl und müssen den teuren Strom zahlen
BKW und Axpo sagen gegenüber saldo, ihre AKW seien immer noch wirtschaftlich zu betreiben. Die Reaktoren würden so lange in Betrieb sein, wie sie sicher und rentabel seien. Der Marktpreis sei momentan so tief, dass selbst Schweizer Wasserkraftwerke zu teuer produzieren würden. Doch diese Marktverzerrung könne nicht von Dauer sein, so die Axpo.
Laut dem ehemaligen SP-Nationalrat und Energiepolitiker Rudolf Rechsteiner kommt der Weiterbetrieb von Beznau und Mühleberg die Haushalte teuer zu stehen. Da sie den Lieferant nicht wechseln dürfen, könne ihnen der Atomstrom zu den jeweiligen Produktionskosten verrechnet werden – «auch wenn diese höher sind als der Preis für Strom auf dem Markt».