Diätmittel Alli: Apotheken machen auch mit schlanken Kunden Kasse
Die Diätpille Alli ist für Übergewichtige bestimmt. Eine saldo-Stichprobe zeigt aber: Jede zweite Apotheke verkauft das Mittel auch an schlanke Kundinnen.
Inhalt
saldo 06/2010
27.03.2010
Letzte Aktualisierung:
31.03.2010
Sabine Rindlisbacher
Schlankheitsmittel sind für Apotheken und Drogerien ein gutes Geschäft: Letztes Jahr verkauften sie gemäss Marktforschungsinstitut IMS Health rezeptfreie Diätprodukte für fast 7 Millionen Franken. Seit Januar ist nun Alli auf dem Markt. Die Apotheken rühren kräftig die Werbetrommel. Bereits im ersten Verkaufsmonat haben sie mit dem Präparat fast eine halbe Million Franken umgesetzt.
Hersteller Glaxo Smith Kline bewirbt sein Produkt als ...
Schlankheitsmittel sind für Apotheken und Drogerien ein gutes Geschäft: Letztes Jahr verkauften sie gemäss Marktforschungsinstitut IMS Health rezeptfreie Diätprodukte für fast 7 Millionen Franken. Seit Januar ist nun Alli auf dem Markt. Die Apotheken rühren kräftig die Werbetrommel. Bereits im ersten Verkaufsmonat haben sie mit dem Präparat fast eine halbe Million Franken umgesetzt.
Hersteller Glaxo Smith Kline bewirbt sein Produkt als rezeptfreies Heilmittel gegen überflüssige Pfunde. Die Kapseln enthalten den gleichen Wirkstoff wie das rezeptpflichtige Xenical, jedoch nur halb so viel davon. Mit Alli soll der Körper einen Viertel der in der Nahrung enthaltenen Fette unverdaut ausscheiden. Übergewichtige sollen so 50 Prozent mehr abnehmen als mit einer normalen Diät. Eine kleine Packung Alli kostet um die 70 Franken – und reicht für zwei Wochen.
City-Apotheke, Basel: Peeling soll die Wirkung von Alli unterstützen
Das Medikament ist nur für Volljährige und Übergewichtige bestimmt, die einen Body-Mass-Index (BMI) von 28 oder mehr haben. Geben Apotheken Alli nur an solche Personen ab oder machen sie auch mit Schlanken Kasse? saldo hat eine Testperson in 20 Apotheken geschickt. Die 33-jährige saldo-Redaktorin ist mit 175 cm Körpergrösse und 58 Kilogramm Gewicht fast untergewichtig. Um Alli einnehmen zu dürfen, müsste sie 18 Kilogramm mehr wiegen.
Resultat: 11 von 20 Apotheken haben der Testperson Alli verkauft. Etwa die Gallus-Apotheke in St.Gallen. Auf Verlangen reicht die Mitarbeiterin wortlos eine Schachtel und kassiert. In der Luzerner Apotheke Capitole fragt die Angestellte erst nach dem Kauf, ob die Kundin das Produkt kenne. Als diese antwortet «aus der Werbung», genügt ihr das – die Mitarbeiterin sagt nichts zu Einnahme oder Nebenwirkungen.
In der Basler City-Apotheke neigt sich die Angestellte über die Theke und sagt leise: «Das Produkt ist eigentlich erst für Leute mit BMI 28 bestimmt.» Und fügt verschwörerisch hinzu: «Das müssen wir halt einfach gesagt haben.» Sie verschwindet und kommt mit einer Packung Alli zurück – und einem Körper-Peeling für 94 Franken. Dieses unterstütze Alli «ideal». In der Rathaus-Apotheke in St.Gallen stösst die Testerin auf eine Angestellte, die Alli selbst ausprobiert hat – und über lästige Nebenwirkungen klagt. Sie holt Formoline L 112, ein ebenfalls von ihr getestetes Diätmittel. Die Kundin tendiert zu Alli und bekommt es auch.
Wenn auch nicht Alli, ein Diätmittel erhält die Testkundin überall
Klare Absagen erteilen die Bahnhof-Apotheke Thaler in St.Gallen, die Goldene Apotheke und die Barfüsser-Apotheke in Basel sowie die Zürcher Odeon Apotheke. In der Berner Apotheke Hörning gilt gar ein Verkaufsverbot für Alli an nicht Übergewichtige. Mittels «Alli-Checkliste» ermitteln die Angestellten Alter, BMI und mögliche Kontraindikationen. Lediglich in zwei Apotheken erklären die Mitarbeiterinnen der Testperson, dass sie nicht abnehmen sollte: in der Berner Apotheke Ischi und der Luzerner See Apotheke.
Obwohl neun Apotheken Alli nicht verkaufen wollten, verliess die Testperson jeden Laden mit einem Diätmittel. In Bern und Luzern erhielt sie Liposinol und Formoline L 112, welches letztes Jahr Apotheken und Drogerien 5 Millionen Franken Umsatz beschert hat. Sechs Apotheken gaben homöopathische Mittel ab. Sie quellen im Magen auf und sollen so das Hungergefühl dämpfen. In Luzern erhielt die Testerin einen Spagyrik-Spray, der Essattacken verhindern soll.
Mit den Stichprobe-Resultaten konfrontiert, reagieren die Apotheken abwehrend. Damaris Bucher von der St.Galler Gallus-Apotheke will nichts sagen. Auch Olessia Munsch von der Basler City-Apotheke verweigert eine Stellungnahme, bezichtigt saldo aber der «Spionage». Amica Stubenvoll von der Luzerner Bahnhofsapotheke Capitole hält fest: «In der Regel machen wir die Kunden darauf aufmerksam, dass Alli erst für Leute ab BMI 28 geeignet ist. Wir können den Kunden jedoch nicht verbieten, das Produkt zu kaufen.»
Ernster nimmt der Apothekerverband Pharmasuisse die «nicht erfreulichen Resultate». Laut Sprecher Marcel Wyler müssen die Apotheken ermitteln, ob jemand ein Präparat kennt und damit umgehen kann.
Bettina Isenschmid, Chefärztin des Kompetenzzentrums für Essverhaltensstörungen, Adipositas und Metabolismus am Bezirksspital Zofingen, findet das Verhalten der Apotheken sehr bedenklich: «Mit der unbedarften Abgabe riskieren die Apotheken, dass Personen mit Essstörungen problemlos ein Präparat kaufen, um noch mehr abzunehmen.» Isenschmid: «Offenbar treibt der Geschäftssinn viele Apotheken an.»