«Der Konsument wird getäuscht»
Fairtrade-Produkte sollen den Produzenten einen anständigen Lohn sichern. Vom Geld erhalten sie aber nur einen kleinen Teil.
Inhalt
saldo 19/2013
20.11.2013
Eric Breitinger
Eine Tafel Schokolade Crémant der Coop-Eigenmarke «Qualité & Prix» kostet 95 Rappen. Dieselbe Schokolade gibts bei Coop auch mit dem Gütesiegel Max Havelaar. Das Label soll signalisieren, dass die Bauern gerechtere Löhne bekommen. Die Fairtrade-Schoggi kostet Fr. 1.25 – rund ein Drittel mehr.
Das ist keine Ausnahme: Für die über 2000 Fairtrade-Produkte in den Schweizer Läden müssen Käufer in ...
Eine Tafel Schokolade Crémant der Coop-Eigenmarke «Qualité & Prix» kostet 95 Rappen. Dieselbe Schokolade gibts bei Coop auch mit dem Gütesiegel Max Havelaar. Das Label soll signalisieren, dass die Bauern gerechtere Löhne bekommen. Die Fairtrade-Schoggi kostet Fr. 1.25 – rund ein Drittel mehr.
Das ist keine Ausnahme: Für die über 2000 Fairtrade-Produkte in den Schweizer Läden müssen Käufer in der Regel tiefer in die Tasche greifen als für die gleiche Ware ohne Gütesiegel. Die Max Havelaar-Stiftung in Basel rechnet zum Beispiel bei ihrem Kaffee mit einem Aufschlag von 11 Prozent, bei den Bananen mit über 30 Prozent gegenüber Billig-Bananen.
Die Zusatzeinahmen sorgen laut der Stiftung dafür, dass Kleinbauern in der Dritten Welt «über höhere und vor allem stabilere Einkommen» verfügen.
Nur 1,3 von 30 Rappen gehen an die Bauern
Der Haken: Vom Zuschlag, den die Konsumenten für Fairtrade-Produkte zahlen, kommt oft nur sehr wenig bei den Kleinbauern in Afrika oder Südamerika an. Beispiel: Von den 30 Rappen Aufpreis der Max-Havelaar- Schoggi erhalten laut dem Schweizer Fairtrade-Unternehmen Gebana die Bauern nur rund 1,3 Rappen. Zuckerproduzenten in Paraguay bekommen etwa 0,3 Rappen, Kakao-Bauern in Ghana etwa 1 Rappen an Fairtrade-Prämie. Ähnlich sieht es bei Nüssen aus. Bei der Migros kosten normale Cashewnüsse der Eigenmarke Sun Queen Fr. 20.50 pro Kilogramm. Dieselben Nüsse mit dem Max-Havelaar-Gütesiegel in Bioqualität kosten 29 Franken. Vom Aufschlag erhalten die Nuss-Produzenten laut Gebana-Berechnungen im besten Fall Fr. 1.72, im schlimmsten Fall 32 Rappen.
Im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft analysierten Forscher Daten von über 5000 Kakao- und Kaffee-Farmen in Nicaragua, Ghana, Vietnam, Tansania, Kolumbien, Elfenbeinküste, Mexiko, Costa Rica und Guatemala. Fazit: Bauern erzielen mit Fairtrade im Durchschnitt nur 9 Prozent höhere Preise. Landwirte, die Starbucks mit Kaffee und Kakao unter dem konzerneigenen Label beliefern, bekommen vom US-Konzern 5 Prozent höhere Preise vergütet. Kleinbauern, die ihre Erzeugnisse über Max Havelaar verkaufen, haben 9 Prozent mehr in der Kasse, Biobauern 14 Prozent mehr.
Wo aber bleibt der grosse Teil des Aufschlags, den die Konsumenten für angeblich fair gehandelte Produkte berappen? Gebana berechnete das am Beispiel der Max-Havelaar-Bananen (siehe Grafik): Sie sind in den Läden im Schnitt pro Kilogramm Fr. 1.13 teurer als Nicht-Marken-Bananen. Davon gehen 16 Prozent an die Lieferanten, 5 Prozent als Lizenzgebühr an die Max Havelaar-Stiftung. 8 Prozent streichen Zwischenhändler ein. Über 70 Prozent des Zuschlags bleiben jedoch bei den Grossverteilern. Sie haben laut dem Gebana-Geschäftsführer Adrian Wiedmer «bei den als Eigenmarken verkauften Fairtrade-Produkten häufig eine höhere Gewinnspanne als bei konventionellen Markenprodukten».
Migros und Coop bestreiten das. Die Mehrkosten beim Einkauf der Rohstoffe würden höhere Fairtrade-Verkaufs-preise nötig machen. Migros-Sprecherin Martina Bosshard: «Wir erzielen bei Fairtrade-Produkten prozentual nicht mehr Marge.» Migros verfolge bei allen Produkten die «gleiche Margenpolitik». Laut Coop-Sprecher Ramon Gander ist die Marge seines Unternehmens bei Fairtrade-Produkten «gleich oder sogar tiefer ist als bei konventionellen Produkten». Zahlen nennen Migros und Coop keine.
«Produzenten mehr am Gewinn beteiligen»
Eine Stichprobe von saldo zeigt, dass Coop viele Fairtrade-Produkte teurer verkauft: Getrocknete Mangos mit Havelaar-Label kosten 75 Prozent mehr als die Standardware. Mit Schokolade überzogene Vollreiswaffeln sind mit Label fast 90 Prozent teurer als ohne. Wiedmer kritisiert selbst «prozentual gleich hohe» Margen als stossend: «In absoluten Zahlen verdienen die Grossverteiler an Fairtrade-Artikeln dann immer noch mehr als an Standardproduk-ten.» Sein Fazit: «Der Konsument wird getäuscht, wenn Grossverteiler den Mehrpreis fast allein abschöpfen und die Bauern sehr viel weniger bekommen.» Er fordert: «Die Grossverteiler sollten die Fairtrade-Produzenten mehr am Gewinn beteiligen.»
Immerhin: Eine noch unveröffentlichte Studie des Staatssekretariats zeigt, dass Fairtrade-Bauern etwa in der Elfen-beinküste leichteren Zugang zu Preisinformationen, Krediten, Ausbildung und agrartechnischem Wissen haben. Sie setzen weniger Pestizide ein und erzielen höhere Ernteerträge.
Max Havelaar macht Reiche noch reicher
Im Dok-Film «Der faire Handel auf dem Prüfstand» deckte der französische Filmemacher Donatien Lemaître bei seinen Recherchen in der Dominikanischen Republik auf, dass die rund 400 Mitglieder der von einer Max Havelaar-Firma zertifizierten Landwirtschafts-Kooperative Banelino «mehrere Hundert» haitianische Bananenpflücker für sich arbeiten lassen. Diese haben weder die von Havelaar vorgeschriebenen Arbeitsverträge, Pässe noch Visa und erhalten für 17-stündige Arbeitstage Hungerlöhne von 4 Franken.
Lemaître kritisiert das Kontrollsystem von Fairtrade International, das nicht unabhängig sei und zu wenig Kontrolleure beschäftige. Er kritisierte weiter, dass Havelaar etwa in der Dominikanischen Republik mit Grossgrundbesitzern wie der Holländerin Jetta van Bergen kooperiert. Diese habe im letzten Jahr mit Bananen satte 180 Millionen Franken Umsatz erwirtschaftet. So macht das Siegel für gerechten Handel die Reichsten noch reicher. Fairtrade International äusserte sich nicht zu den Vorwürfen.