Bürger werden über Gebühr zur Kasse gebeten
Gemeinden, Kantone und Bund verbessern ihre Einnahmen<br />
mit immer mehr Gebühren. Die Preissteigerungen liegen weit über der Teuerung.
Inhalt
saldo 16/2008
06.10.2008
Letzte Aktualisierung:
08.10.2008
Thomas Lattmann
Die Verwaltung der Stadt Winterthur ist erfinderisch: Seit 2005 verlangt sie neu eine Gebühr für den «befristeten Fahnenaushang». Wenn ein Gewerbetreibender auf seinem Areal mit Flaggen werben will, muss er pauschal 30 Franken für die Bewilligung sowie zusätzlich 50 Franken pro Fahne an die Stadt abliefern.
«Ein klassisches Beispiel für eine sinnlose Gebühr», schimpft FDP-Nationalrat und Autohändler Markus Hutter. Di...
Die Verwaltung der Stadt Winterthur ist erfinderisch: Seit 2005 verlangt sie neu eine Gebühr für den «befristeten Fahnenaushang». Wenn ein Gewerbetreibender auf seinem Areal mit Flaggen werben will, muss er pauschal 30 Franken für die Bewilligung sowie zusätzlich 50 Franken pro Fahne an die Stadt abliefern.
«Ein klassisches Beispiel für eine sinnlose Gebühr», schimpft FDP-Nationalrat und Autohändler Markus Hutter. Die Stadt hat die Gebührenschraube kräftig angezogen. Das zeigt auch das Konto «Gebühren für Amtshandlungen», worunter etwa Bau- und Kanzleigebühren oder Zivilstandsgebühren fallen. Von 1998 bis 2007 sind die entsprechenden Einnahmen um 64,7 Prozent gestiegen. Die Teuerung betrug in diesen zehn Jahren lediglich 8,7 Prozent.
Gebührenanstieg liegt überall massiv über der Teuerung
Winterthur ist zwar ein krasses Beispiel für Gebührenwachstum, aber auch andere Städte langen kräftig zu: In der Stadt Bern sind die «Gebühren für Amtshandlungen» in den letzten zehn Jahren um 57 Prozent angestiegen, in Zürich um 28,7 Prozent. Ebenfalls deutlich über der Teuerung liegen Basel mit 21,5 und St.Gallen mit 21,3 Prozent. In Luzern legten die Einnahmen von 2000 bis 2007 um 18,15 Prozent zu, bei einer Teuerung von 6,2 Prozent.
Übermässiges Gebührenwachstum ist kein städtisches Phänomen. Im Kanton Baselland sind die Gebühren laut «Basler Zeitung» innert 20 Jahren von 140 auf 360 Franken pro Kopf der Bevölkerung gestiegen. Und die gesamtschweizerischen Zahlen zeigen: 2006 nahmen Bund, Kantone und Gemeinden fast 26 Milliarden Franken Gebührengelder ein. Das sind 6,7 Milliarden mehr als zehn Jahre zuvor – eine Steigerung von 35 Prozent.
Luzern: Blaue Zone kostet für Anwohner jährlich 600 Franken
Der Solothurner alt Nationalrat Rudolf Steiner (FDP) hat 2006 in einer Motion verlangt, dass die Gebührenbelastung in der Schweiz jährlich erhoben und vergleichbar gemacht wird. Er will damit Transparenz schaffen: Steiner setzt auf einen «gewissen Druck» bei Gemeinden und Kantonen. National- und Ständerat haben die Motion gegen den Willen des Bundesrates an die Landesregierung überwiesen.
Der Stellvertreter des Preisüberwachers, Beat Niederhauser, hat festgestellt, dass «auf allen Ebenen» mehr und neue Gebühren erhoben werden. In einigen Kantonen etwa muss neu für das Halten gefährlicher Hunde ein Obulus entrichtet werden. Im Kanton Baselland kostet die Bewilligung 250 Franken, im Kanton Thurgau bis zu 2000 Franken. Zudem bitten die Thurgauer Behörden ausserkantonale Hundebesitzer zur Kasse, falls sie mit ihrem potenziell gefährlichen Vierbeiner auf Thurgauer Gebiet Gassi gehen.
Weitere Beispiele von ungleichen Gebühren: Ein Wirt in Zürich bezahlt jährlich 28026 Franken für ein Strassencafé auf 50 m2 öffentlichem Grund an bester Lage (siehe Tabelle im pdf-Artikel). Weniger als ein Zehntel, nämlich 2600 Franken, kostet diese Leistung in St.Gallen. Ebenfalls bescheiden gibt sich Luzern, wo die Gewerbepolizei 4400 Franken verlangt. Und in Winterthur ist nicht nur die Gebührenhöhe, sondern auch die Steigerung bemerkenswert: Von 3790 auf 7228 Franken innerhalb von zehn Jahren.
Auch Dauerparkieren kostet je nach Stadt unterschiedlich viel. In Luzern bezahlen Anwohner jährlich 600 Franken dafür, ihr Auto in der Blauen Zone abzustellen; in den Städten Basel, Bern und Zürich sind es nur 240 Franken.
Kleinverdiener stärker belastet als Reiche
Die Städte wehren sich gegen den Vorwurf, die Gebühren über Gebühr erhöht zu haben. So rechtfertigt Winterthur den massiven Anstieg mit «längst überfälligen Anpassungen» ans Niveau der übrigen Städte. Zudem sei das Volumen gewisser gebührenpflichtiger Dienstleistungen innert zehn Jahren stark angestiegen, teilweise als Folge des Bevölkerungswachstums.
Auch Bern, Luzern, St.Gallen und Zürich führen die «allgemeine Mengenausweitung aufgrund der gestiegenen Nachfrage» zur Begründung an. Dies treffe vor allem bei den Betreibungs- und Baugebühren zu. Das Finanzdepartement Basel argumentiert im Politjargon mit der «konsequenten Einführung des Verursacherprinzips»: Neu gelte der Grundsatz, dass eine Gebühr die verursachten Kosten voll decken müsse.
Der Haken: Gebühren sind unsozial, weil sie Kleinverdiener stärker belasten. Wer einen neuen Pass braucht oder heiraten will, muss den geforderten Preis bezahlen – unabhängig vom Einkommen.